Kategorien
TEXTE / GAMING

Ab heute

gibt es keine Heiligenscheine mehr

Der Mensch

trägt schwarze Melonen

und dunkle Sonnenbrillen

gegen die blendende Sonne

in Syrien

in Aleppo

sie ziehen sich Handschuhe

über

aus Leder und Gänseschmalz

um keine Spuren zu hinterlassen

auf den Blättern ihrer Weltgeschichte

sie schmökern nur noch die

Inhaltsverzeichnisse

sie haben das Lesen verlernt

stülpen nur die Seiten um

und kichern träge

über die Buchstaben

einer Sprache

die sie

längst vergessen haben

Kategorien
BIKING

There and Back Again. 4.500 km mit dem Bike durch Europa

Genf – Santiago de Compostela – Plymouth – Dover – Nürnberg

3 Monate 4.500 km Randonneur & Zelt

Bild1..png

April 2016 

Die Reise beginnt in Genf. Es geht nach Westen.
Ca. 2400 km auf der Via Podiensis durch Frankreich und Spanien bis nach Santiago de Compostela.
Immer dem Pfeil nach.
foto2
Savoir Vivre!
Foto..png

Eis im Wind.

Auf dem Hochplateau des Massif central.
foto
foto

Mai 2016

Ankunft in Saint-Jean-Pied-de-Port. Wo der Weg für die meisten erst beginnt.
rsz_1

Über die Pyrenäen.

1200 hm auf kaum 15 km. Der Roncesvalles Pass. Oben atemlos.
2
Leere Weiten in Spanien. Kilometer um Kilometer.
foto..png
Hinter uns der Sturm.
foto1..png
In der Leere dann das Schild:

Noch 497 km.

foto2..png
Die Kilometer ziehen vorüber.
 
 
rsz_1rsz_foto3
Und endlich.

Santiago.

foto4..png

Danach das Meer.

San Vicente de la Barquera.
FOTOOO..png
Zwei Monate draußen. Tag für Tag.
rsz_1rsz_1rsz_fotooo1

Juni 2016

24 h Fähre von Santander nach Plymouth. Es nieselt. Und:

Linksverkehr!

England..png
Südwestengland ist ein enger Straßentunnel aus meterhohen Hecken.

Dazwischen:

Hin und wieder ein Guckloch ins Land.
England1..png
Nach Tagen zwischen Hecken endlich: Die Küste!
2..png
3..png
Heute bleibt der Gaskocher aus!
rsz_1rsz_4
Von Dover weiter nach Dünkirchen. Und weiter. Immer weiter.

Juli 2016

Brügge sehen und sterben.
4..png
Kanäle und Alleen. Alleen und Kanäle.

Und Wind.

Belgien und die Niederlande.
5..png

Das Paradies ist in Flandern.

Die Helenahoeve.
6..png
7..png
Hinter den Kanälen und Alleen dann:

Back in Germany.

 
rsz_1rsz_8

Nach 4.500 km und 81 Tagen on the road:

Ankunft an der Jakobskirche in Nürnberg.

Back home!

f..png
 
 
 
 
 
 
 
 

Kategorien
TEXTE / GAMING

Soiree im Schloß Burgfarrnbach 2014

2017-01-09-13-17-462017-01-09-13-18-562017-01-09-13-19-052017-01-09-13-19-122017-01-09-13-19-13

Kategorien
TEXTE / GAMING

LESEN! & CRIMINALE 2014

2017-01-09-12-32-232017-01-09-12-32-522017-01-09-12-33-152017-01-09-12-33-402017-01-09-12-33-262017-01-09-12-34-562017-01-09-12-48-162017-01-09-12-34-062017-01-09-12-47-49

Kategorien
Allgemein

GASTSPIELER: Größe ist nicht alles. Die Open World und ihre Problematik

Das Prinzip der Open World, wie es uns in letzter Zeit auf Schritt und Tritt begegnet, hat ein entscheidendes Merkmal. Die Verbindung zwischen offener Spielwelt und Banalität der in ihr wartenden A…
Source: GASTSPIELER: Größe ist nicht alles. Die Open World und ihre Problematik

Kategorien
Brandneu

Game Studies Klassiker Vol. I – Miguel Sicart: The Ethics of Computer Games

Wenn wir von der Ethik eines Spiels sprechen, was meinen wir damit? Können wir von der Ethik eines Spiels überhaupt sprechen, oder geht es nur um die Ethik des Spielers? Ist ein Spiel als solches schon ethisch? Oder wird es erst zum ethischen Objekt, indem es gespielt wird? Und was heißt das alles eigentlich für uns als Spieler?

Let´s Start

Miguel Sicart meint: Das ethische Element eines Spiels liegt weniger in seinem Anstrich (world), sondern in seinem Gerüst (system): „Rules create the game; the fictional world contains it“[1]. Es reicht also nicht, wenn wir uns nur die anschauen, wie die Spielwelt oder die Story ist. Wir müssen schauen, wie das formale System designt ist und wie es das Spiel als Ganzes beeinflusst.[2]

Soweit die These. Schauen wir uns das genauer an.
Wie immer in der Wissenschaft. Fangen wir mit einer Definition an.
*seufz*

Definition

Computerspiele sind zunächst mal Objekte, die uns simulierte Umgebungen bieten, mit denen wir auf bestimmte Art und Weise interagieren können. Vorausgesetzt natürlich, wir unterwerfen uns den Regeln dieser Interaktion. Die im Spiel angelegten Regeln beeinflussen die Interaktionen, das Verhalten und die Identität des Spielers (im Spiel).[3]

Klar soweit? Die Regeln machen die Musik.

Daraus folgt: Das ethische Potential eines Spiels liegt (auch) in dessen Regelwerk: „It is in the game as designed simulation system where the ethics of computer games can be partially tracked. The way games are designed, and how that design encourages players to make certain choices, is relevant […]“[4].

Das Spiel als Objekt

Wunderbar. Aber was heißt denn das jetzt genau – „Objekt“?
Ein Spiel als Objekt besteht aus zwei Komponenten: Dem system[5] und der world[6].
Ok. Und was ist der Unterschied?

Das system ist das einem Spiel inhärente System von Regeln, das einen Spieler zur Erreichung bestimmter Ziele innerhalb der Spielwelt motiviert. Die world bezeichnet die Spielwelt. Also das über das System gestülpte Zierdeckchen. Das Biotop quasi, die Story etc.

Und wo ist jetzt die Ethik?

Die Ethik zwischen system und world

Irgendwo dazwischen: „The Ethics of games as designed objects can be found in the relations between these two elements“[7].
Damit jetzt nicht schon jeder aussteigt – hier ein Beispiel:

Das Spiel XIII beschreibt den Spielercharakter als brutalen Killer. Das ist die world. Das system widerspricht aber dieser world, denn: Polizisten und Unschuldige können nicht getötet werden. Das Regelwerk zwingt den Spieler also zu eine bestimmten Verhalten, das in Konflikt steht mit der suggerierten world: „There is a game rule that creates the values we play by, in clear contradiction to the game fiction“[8].

Sicarts These ist also: Das ethische Element eines Spiels liegt nicht (nur) in seiner world, sondern in seinem system.
Warum?

Weil es das System ist, das uns durch seine Regeln zu bestimmten Verhaltensweisen motiviert oder sogar zwingt. Am Beispiel XIII: Hier ist der Spieler zu moralischem Verhalten schlicht durch das System gezwungen. Und das steht in krassem Widerspruch zur Spielwelt.

Das heißt jetzt aber nicht, dass die Spielwelt völlig irrelevant ist. Sie hat Einfluss darauf, wie das Spiel erlebt wird, weil sie die Repräsentation des Regelwerks sowohl als auch dessen Container ist. Die Spielwelt ist der direkteste Zugang, den der Spieler auf die Regeln hat.[9]

Ok. Also nochmal: Jedes Spiel ist ein Objekt, bestehend aus einem System und einer Spielwelt. Das System bestimmt die Regeln und in denen liegt das ethische Potential. Die Regeln wiederum erleben wir durch die Spielwelt.

Die Ethik zwischen system, world und Entwicklern (Puh)

Aber jetzt kommt der Clou: Spiele sind nicht einfach nur Objekte. Sie sind auch Erfahrungen. Genauer: Sie sind Objekte, die dazu designt sind, Erfahrungen zu schaffen. Und erst dadurch werden sie existent.[10]

Diese Erfahrungen sind durch die ergodische (ergodic) Eigenschaft von Spielen greprägt.
Was, bitte?
Also langsam.

Ergodisch: Das ist die Eigenschaft eines Systems, die Interaktion des Spielers nach bestimmten – dem Spieler zumeist bekannten – Regeln zu evaluieren und einen bestimmten Erfolgsstatus festzulegen, der vom Spieler angestrebt ist.[11] (Sehr) heruntergebrochen: Ergodisch ist die Eigenschaft, bestimmten Input mit bestimmtem Output zu versehen.[12] In Spielen wie Telltales The Walking Dead führt das etwa zu weit verzweigten Entscheidungsbäumen.[13]

So was wie hier..
heronbelford-2-1fig5

Die Struktur bestimmt, welche Erfahrungen wir innerhalb des Spiels machen können. Sie gibt außerdem vor, welches Verhalten wünschenswert ist und welches nicht, indem es belohnt oder bestraft. Das System motiviert uns dazu, uns auf bestimmte Art und Weise moralisch zu verhalten. Es oktroyiert uns also gewissermaßen seine ethischen Überzeugungen auf. Und sobald wir spielen, müssen wir mitspielen. Uns also diesen Regeln unterwerfen. Das Regelwerk eines Spiels ist also in höchstem Maße ethisch. Natürlich können wir auch wählen, uns nicht an die Regeln zu halten. Wir können Polizisten in XIII erschießen, in Limbo entscheiden, nicht über die mit Stacheln bewehrte Grube zu springen und in Witcher 3 uns pazifistisch weigern, das Schwert zu ziehen, wenn wir angegriffen werden. Nur wirft uns das Spiel dann schneller raus, als uns lieb ist. Game Over. Sobald wir uns also entscheiden zu spielen, müssen wir nach den Regeln spielen.

Also: Das System bestimmt die Regeln, nach denen wir uns in der Spielwelt bewegen. Es sind also die Regeln, in denen das ethische Moment liegt.

Damit stehen wir aber vor einem klassischen Scope-Problem: Wenn es die Regeln sind, die ein Spiel zu einem ethischen Objekt machen, dann sind alle Spiele ethisch. Aber ist Tetris wirklich ethisch? Nein. Tetris kann zwar etwa als Allegorie interpretiert und dadurch ethisch diskutiert werden. Diese ethische Dimension ist aber nicht im Spiel, d.h. in den Regeln oder der Spielwelt, angelegt. Wir können Tetris seelenruhig spielen, ohne es als Metapher für Etwas Ethisches zu verstehen.[14]

Nicht alle Spiele sind ethisch relevant. Ethisch relevant sind nur die Spiele, die den Spieler
(a) mit ethischen Entscheidungen konfrontieren
und/oder
(b) in denen die Regeln des Spiels selbst ethische Fragen aufwerfen.[15]

Dann ist doch alles klar, oder? Das ethische Moment liegt also ganz klar in den Regeln, also dem Spielobjekt. Heißt also, dass die ethische Verantwortung für ein Spiel bei den Machern des Spiels liegt. Weil die das Objekt ja machen.

Puh. Sind wir Spieler nochmal davongekommen.
Falsch.

Die Ethik zwischen system, world, Entwicklern und Spielern (Ernshaft?)

Wir dürfen nicht vergessen, dass es immer die Spieler sind, die diese Regeln interpretieren und unter Umständen erst schaffen (z.B. implizite Verhaltensregeln in einem MMO). Und dass es, wie wir oben festgestellt haben, erst einen Spieler braucht, damit das Spiel überhaupt existent wird.

Welche ethische Rolle haben also wir, die Spieler?

Ja, die Entwickler sind verantwortlich für das Regelsystem und für die Verhaltensweisen, die sie mit diesem zu triggern versuchen. Aber der Spieler und die Spiele-Communities sind schlussendlich verantwortlich für die Erfahrung(en), die in einem Spiel gemacht werden. Der Entwickler kann ethische Werte in ein Spiel einschreiben wie er will. Der Akt des Spielens ist davon nur dann beeinflusst, wenn diese Werte direkt die Spielerfahrung beeinflussen.[16]

Aber wird dürfen den Spieler-Faktor nicht vergessen! Eine Ethik der Computerspiele braucht beides: Das Spiel als ethisches Objekt und den Spieler als moralischen Agenten, der das Spiel erst in die Existenz bringt, indem er spielt.[17]

Der Prozess, der im Spielen vor sich geht, ist komplex: Das Spiel als Objekt wird vom Spieler aktualisiert und damit zur Erfahrung. Der Spieler selbst wird durch das Spielen wiederum zum Spielenden (player-subject). Diese verschiedenen ´Identitäten` sind es auch, die uns ethisch interessante Erfahrungen in Spielen machen lassen.

In Super Columbine Massacre RPG spielen wir das Columbine Massaker in den Figuren von Eric Harris und Dylan Klebold nach. Die Regeln des Spiels entsprechen gängigen RPGs.

Kein Problem. Kennen wir uns aus. Diese Kenntnis ist unserer kulturellen Erfahrung in Spielen geschuldet. Gegner überwinden bringt XP und so weiter.

Problem: Die darübergestülpte Spielwelt. Der Amoklauf ist Teil unserer kulturellen Erfahrung außerhalb des Spiels und unserer dortigen moralischen Überzeugungen.
Unser dem Spiel externes Ich steht also unserem Player-Ich gegenüber.
Was bedeutet das aber jetzt für uns als Spieler?
Wenn wir als moralische Agenten das Spiel erst in die Existenz bringen, dann bedeutet das, dass der Akt des Spielens ein moralischer Akt ist.
(Oh Gott)
D.h. Der Akt des Spielens ist ein Akt, in dem wir uns richtig oder falsch verhalten können. (Weil das Moral so macht, nach richtig und falsch zu fragen).
Wie sollen wir uns dann aber moralisch richtig verhalten?
Hier packt Sicart Artistoteles Tugendethik aus.

Die Ethik zwischen system, world, Entwicklern und tugendhaften Spielern (Jetzt aber!)

Die Phronesis bei Aristoteles bezeichnet die praktische Weisheit, d.h. das Wissen um das ethisch Gute und das Angemessene. Diese praktische Weisheit üben wir auch, wenn wir spielen. Hier bezieht sich die Phronesis auf die Game Play-Entscheidungen, die ein Spieler trifft, die sich wiederum an bestimmten Tugenden orientieren, um ein aus aristotelisch-ethischer Sicht ein guter Spieler zu sein.

Whaaat?

Ein Beispiel: Wenn wir langjährige Battlefield– Spieler sind und in einen uns bisher unbekannten Shooter geworfen werden, wissen wir, wie wir uns im Spiel angemessen verhalten, um möglichst erfolgreich zu sein. Wenn wir jetzt aber mit einem Spiel konfrontiert werden, wo wir uns unsicher sind, wie wir uns verhalten sollen, dann – vorausgesetzt wir sind tugendhafte Spieler – aktiviert sich unsere praktische moralische Weisheit und wir orientieren uns an unseren Erfahrungen als Mitglied einer bestimmten Kultur, Gesellschaft und auch Spielercommunity. Wir versuchen unseren eigenen Spielspaß zu maximieren, ohne den Anderer einzuschränken.

Sicart nennt das: ludic practical wisdom.[18]

Die in der Spielerfahrung vorherrschenden Tugenden sind z.B. Sportmanship, balanced aggression, explorative curiosity, sense of achievement.[19]

Ein tugendhafter Spieler spielt gemäß diesen Tugenden und formt damit seine Phronesis. Er ist ein guter Spieler, weil er tugendhaft spielt.

Und genau hier liegt das ethische Potential von Spielen wie  Super Columbine Massacre RPG. Indem wir das Spiel spielen, schalten wir unsere praktische Weisheit ein. Wir wissen, wie wir mit dem Spiel als player-subjekt interagieren, was wir tun können in der Spielwelt und – und das ist jetzt die Moral von der Geschicht´! – wie das die moralische Integrität des Player-Subjekts einerseits und des Ich-außerhalb-des-Spiels beeinflusst. Indem uns das Spiel zwingt, als Player-Subjekt den Amoklauf zu begehen, zwingt es uns als Ich-außerhalb-des-Spiels, über das Spiel und unsere Handlungen darin nachzudenken. Als Spieler-Ich wollen wir gewinnen. Dafür müssen wir töten. Als moralisches Subjekt außerhalb des Spielers stehen wir damit in Konflikt. Durch diese Diskrepanz wird kritische Reflexion über unsere Handlungen im Spiel erst möglich.

Und ta-daa: Das Spiel ist ethisch!

 
Noch Fragen?
 


 Abb. :Adapted from „Here’s a chart of every choice in The Walking Dead: Season 1 (image)“ by E. Killham, March 31, 2013, VentureBeat.com. Copyright 2013 by GamesBeat.
[1] Sicart, Miguel: The Ethics of Computer Games. Cambridge:  MIT 2011,  S. 33.
[2] vgl. ebda. S. 46.
[3] vgl. ebda. S. 16.
[4] ebda. S. 17.
[5] ebda. S. 22.
[6] ebda. S. 22.
[7] ebda. S. 22.
[8] ebda. S. 22.
[9] vgl. ebda. S. 35.
[10] vgl. ebda. S. 30.
[11] vgl. ebda. S. 30.
[12] Zu der Problematik, dass Spiele eigentlich nie eine durchgängige ergodische Erfahrung sind, sondern unterbrochen werden von Cutscenes, Ladescreens etc. und die cineastische Inszenierung gerade in AAA-Titeln zunehmend in den Vordergrund rückt, hier ein gut zu lesender Gegenentwurf zur ergodischen These von James Newman: http://www.gamestudies.org/0102/newman/.
[13] Anm.: Wobei die Bandbreite moralische Entscheidungsmöglichkeiten in Spielen wie The Walking Dead ein Spiel nicht grundlegend ethisch interessant macht. Vgl. dazu ebda. S. 45.
[14] vgl. ebda. S. 51.
[15] vgl. ebda. S. 49.
[16] vgl. ebda. S. 41.
[17] vgl. ebda. S. 63.
[18] ebda. S. 100.
[19] ebda. S. 101.

Kategorien
TEXTE / GAMING

Words are not Actions? Der US-Wahlkampf 2016 und die Sprechakttheorie

Sprechen ist nicht gleich Handeln. In einem Wutanfall zu sagen: „Ich bringe dich um!“ ist nicht vergleichbar mit tatsächlichem Mord. Das scheint einleuchtend. Etwas zu sagen ist nicht das gleiche, wie es zu tun. Diese Unterscheidung wurde während der `Pussy-Gate-Affäre´ im US-Wahlkampf 2016 zwischen Donald Trump und Hillary Clinton besonders wirksam. Aussagen mit sexuell übergriffigem Inhalt sind nicht gleich tätlichen sexuellen Übergriffen. Aber was tun wir eigentlich, wenn wir etwas sagen? Und: Tun wir wirklich nichts?

Pussy-Gate

Am 7. Oktober, nur einen Monat vor der Präsidentschaftswahl, veröffentlicht The Washington Post ein Video von 2005, in dem Donald Trump sich brüstet, sexuell übergriffig gegen Frauen sein zu können, da er ein Star sei: „You know I’m automatically attracted to beautiful – I just start kissing them. It’s like a magnet. Just kiss. I don’t even wait. And when you’re a star, they let you do it. You can do anything. Grab ‚em by the pussy. You can do anything.“[1] Nach einiger Unruhe in den Reihen der Trump-Anhänger formiert sich doch bald eine klare Linie, die sich ganz der obigen Prämisse verschrieb. Trump-Anhänger Scottie Nell Hughes bringt es am 8. Oktober auf den Punkt: „It is one thing to say it. It is anoter thing to do it“[2]. Und als sie vom CNN-Moderator wiederholt gefragt wird, ob Trumps Aussagen in dem Video sexuelle Übergriffe beschreiben („Does he describe sexual assault?“[3]) antwortet sie: „If there were actions behind it, then I would say yes. But there are no actions behind it“[4]. Ein Wort ist also nur ein Wort, keine Tat. Worte sind nicht gleich Handlungen (actions). Dieser Logik folgt Trump ebenso wie seine Anhänger. Immer wieder wird betont, seine Aussagen seien nur „Locker Room Banter“[5], also das Zeug eben, was Männer so von sich geben, wenn sie unter sich sind. Die Gegenseite schüttelt währenddessen den Kopf. Locker Room Banter? Im Gegenteil. Trump spreche von sexuellen Übergriffen![6]. Tagelang beherrschen die Aussagen in dem geleakten Video die US-Medien mit der Frage: Locker Room Talk oder Sexual Assault?

Locker Room Talk oder Sexual Assault?

Mit J.L. Austin gesprochen, sind die Vertreter der Gegenseite auf der richtigen Spur. Irgendetwas an den Worten Trumps ist höchst problematisch, auch wenn es sich nicht um eine Tätlichkeit handelt. Irgendetwas ist problematisch an der Aussage: „Ich bringe dich um!“, auch wenn sie keinen direkten Mord darstellt. Aber was? Irgendwie scheint niemand so Recht diese Intuition argumentieren zu können. CNN-Moderator Don Lemon ist nahe dran, als er auf Hughes Aussage: „Am I supposed to sit here and jugde his [Trumps] words? I judge actions.“[7] antwortet: „Yeah, you are supposed to judge his words. And actions on the bus. Those were actions.“[8]. Die Intuition ist richtig. Zumindest folgt man der Sprechakttheorie und ihrem Begründer: J.L. Austin. Aber eines nach dem Anderen.

Klassisch: Manches Sprechen ist Handeln

Klassischerweise wird zwischen konstatierenden und performativen Sprachäußerungen unterschieden. Konstatierende Äußerungen sind deskriptiv und können also wahr oder falsch sein. Sie beschreiben einen Sachverhalt in der Welt. Performative Äußerungen dagegen konstituieren durch den Sprechakt selbst einen Sachverhalt in der Welt. Bei einer performativen Äußerung schaffe ich etwas, indem ich es sage. Das heißt aber auch, dass sie die Eigenschaft wahr bzw. falsch, wie sie die konstatierenden Äußerungen besitzen, nicht hat. Performative Äußerungen sind nicht deskriptiv, sondern normativ.[9] Sie beschreiben nicht einen vorhandenen Sachverhalt, sondern schaffen ihn erst. Performative Äußerungen sind Handlungen, weil sie einen neuen Sachverhalt schaffen. Und: Nur performative Äußerungen sind Handlungen, weil sie etwas neu schaffen, anstatt einen bereits vorhandenen Sachverhalt zu beschreiben.

Ein Beispiel:
Äußerungkonstatierend           „Dieses Auto mit dem Kennzeichen xyz ist gelb“.
Äußerungperformativ               „Ich taufe mein Schiff gelber Wind“.

Äußerungkonstatierend beschreibt einen Sachverhalt in der Welt. Sie kann wahr oder falsch sein. Wenn das Auto etwa nicht gelb, sondern rot ist, ist Äußerungkonstatierend falsch. ÄußerungperformatiV dagegen generiert einen neuen Sachverhalt in der Welt, nämlich, dass das bezeichnete Schiff mit Vollzug des Sprechakts fortan gelber Wind heißt. Was fällt auf? Richtig. Die performativen Äußerungen sind in dieser Logik eher rar gesät. Wir denken an Eheversprechen (Hiermit erkläre ich sie zu Mann und Frau), Babytaufen (Ich taufe dich auf den Namen) und vergleichbares. Durch die Äußerung tritt ein neuer Sachverhalt in die Welt. Der Sprechakt schafft Brautpaare, Identitäten etc. Sprechen ist hier eindeutig handeln. Aber ist das bei Trumps Pussy-Gate der Fall? Nein. Er schafft in seinen Äußerungen keinen neuen Sachverhalt in der Welt. Er beschreibt lediglich seinen Status und die seiner Meinung nach damit einhergehenden Privilegien. Eine konstatierende Äußerung also. Diese Äußerung kann in sich wahr oder falsch sein. Entweder es trifft tatsächlich zu, dass er mit Frauen alles machen kann, was er will. Oder nicht. Die Aussage ist aber nicht normativ. Sie schafft keinen neuen Sachverhalt in der Welt. Also: Ist Trumps Aussage tatsächlich nur eine Aussage. Keine Handlung. Die Locker Room Banter-Partei behält Recht. 1:0 für Trump.

Oder?

Austin: Alles Sprechen ist Handeln

Nicht ganz. Schauen wir uns noch einmal Lemons Aussage an: „Yeah, you are supposed to judge his words. And actions on the bus. Those were actions.“[10]. Irgendwie hat er Recht. Zumindest haben wir diese Intuition. Aber warum? Und hier landen wir endlich bei J.L. Austin.

Erinnern wir uns an das obige Kapitel? Die Geschichte mit der Unterscheidung zwischen konstatierenden und performativen Äußerungen?

Gut.

Und jetzt vergessen wir die Unterscheidung!

Genau dafür argumentiert der Philosoph und Begründer der Sprechakttheorie J.L. Austin. Seine Argumentation in Grob: Konstatierende und performative Äußerungen können auf dieselbe Art und Weise misslingen. Wenn sie so unterschiedlich wären, wie man uns weismachen will, dann wäre das nicht möglich. Demnach sind konstatierende und performative Äußerungen gleichzusetzen.

Fancy ausgedrückt – P sind die Prämissen und K die aus Prämissen P1-P3 logisch folgende Konklusion:

(P1)             Alles Sprechen besteht aus performativen und konstatierenden Äußerungen.
(P2)             Performative Äußerungen sind Sprechakte (performatives Sprechen ist Handeln).
(P3)             (Nach Austin:) Konstatierende Äußerungen sind performative Äußerungen.
(K)              Alles Sprechen ist Handeln.

Dass P1 und P2 gelten, haben wir oben ja schon herausgefunden. Alles hängt jetzt also an P3. Hier muss Austin beweisen, dass konstatierende und performative Äußerungen tatsächlich gleich sind. Dann, und nur dann, gilt die Konklusion K – und Trump hätte ein Problem.

Das gemeinsame Misslingen

Schauen wir uns also P3 an. Wie argumentiert Austin? Wie gesagt, er kritisiert die Trennung zwischen konstatierenden und performativen Äußerungen. Konstatierende Äußerungen können auf die gleichen Arten misslingen wie performative Äußerungen. Das ist der gemeinsame Nenner beider Äußerungsarten und bewirkt, dass konstatierende Äußerungen mit performativen Äußerungen gleichzusetzen sind. Es gibt drei Arten des Misslingens, die konstatierende und performative Äußerungen gleichermaßen betreffen können:

(1) Nichtigkeit aus Mangel an Bezugsobjekten
(2) Selbstannulierung der Aussage durch Mangel an Aufrichtigkeit bzw. Missbrauch des Verfahrens und
(3) Bruch der Verpflichtung.
Her mit den Beispielen!

Nichtigkeit aus Mangel an Bezugsobjekten

Einfacher: Eine für die Gültigkeit der Äußerung notwendige Voraussetzung ist nicht erfüllt.
Äußerungkonstatierend           „Dieses Auto mit dem Kennzeichen xyz ist gelb UND es gibt kein Auto mit dem Kennzeichen xyz.“
Äußerungperformativ             „Ich taufe mein Schiff gelber Wind UND ich habe kein Schiff.

Äußerungkonstatierend setzt genauso voraus, dass es das Auto mit dem Kennzeichen xyz gibt, wie Äußerungperformativ , dass der Sprecher tatsächlich ein Schiff hat. Beide Äußerungen misslingen also auf die gleiche Art: Aus Mangel an Bezugsobjekten.

Selbstannulierung der Aussage

Einfacher: Etwas wird irrtümlich zu verstehen gegeben, entweder durch Mangel an Aufrichtigkeit oder durch den Missbrauch des Verfahrens

Äußerungkonstatierend                „Dieses Auto mit dem Kennzeichen xyz ist gelb UND ich glaube nicht, dass es gelb ist.“ (Mangel an Aufrichtigkeit)
Äußerungperformativ                  „Ich taufe mein Schiff gelber Wind UND ich habe nicht die Absicht, es so zu taufen.“(Missbrauch des Verfahrens)

Auch hier misslingen beide Äußerungen auf die gleiche Art: Äußerungkonstatierend „Dieses Auto mit dem Kennzeichen xyz ist gelb“ gibt zu verstehen, dass der Sprecher dies auch glaubt und Äußerungperformativ „Ich taufe mein Schiff gelber Wind“ impliziert, dass der Sprecher auch beabsichtigt, das Schiff auf diesen Namen zu taufen.

Bruch der Verpflichtung

Einfacher: Sprecher brechen die in einer bestimmten Äußerung implizite Verpflichtung, sich auf bestimmte Weise zu verhalten oder bestimmte Aussagen (nicht) zu treffen.

Äußerungkonstatierend                „Dieses Auto mit dem Kennzeichen xyz ist gelb UND später sagt der Sprecher es ist rot.“
Äußerungperformativ                  „Ich taufe mein Schiff gelber Wind UND behandle es wie einen roten Teufel.“

Durch die Äußerungkonstatierend „Dieses Auto mit dem Kennzeichen xyz ist gelb“ verpflichtet sich der Sprecher dazu, bestimmte zukünftige Aussagen, die diesem Sachverhalt widersprechen, nicht zu tätigen.  Indem er später behauptet, das Auto sei rot, bricht er diese Verpflichtung. Genauso wie die Äußerungperformativ den Sprecher dazu verpflichtet, das Schiff in seinem Verhalten als gelber Wind zu behandeln. Das Beispiel hier ist ziemlich kafkaesk. Es sei aber angenommen, dass ein Schiff mit dem Namen gelber Wind gänzlich anders behandelt wird als ein Schiff mit dem Namen roter Teufel.

Sexual Assault Talk ist Handeln

Die Konklusion von oben gilt also. Weil konstatierende und performative Äußerungen auf die gleiche Art misslingen können, ist die Trennung zwischen ihnen nicht haltbar. Unsere Intuition – von Lemon auf den Punkt gebracht – ist richtig. Was uns stört an Hughes Aussage, das sei ja alles nur Gerede gewesen und keine Handlung, ist genau das, was Austin beschreibt. Worte sind nicht nur Worte. Jede konstatierende Äußerung ist zugleich performativ. Alles Sprechen ist Handeln. Das heißt natürlich nicht, dass Mord gleichzusetzen ist mit dem Ausruf „Ich bringe dich um!“. Eine hate speech ist noch kein hate crime. Wir müssen natürlich unterscheiden zwischen Vergewaltigung und dem Reden darüber.

Aber die Unterscheidung ist lediglich eine graduelle, keine binäre.

 


 
[1] https://www.washingtonpost.com/news/wonk/wp/2016/10/07/the-real-issue-with-donald-trump-saying-a-man-can-do-anything-to-a-woman/?utm_term=.9038f713a58d
[2] https://www.youtube.com/watch?v=CmK6Ci3RIHU
[3] https://www.youtube.com/watch?v=CmK6Ci3RIHU
[4] https://www.youtube.com/watch?v=CmK6Ci3RIHU
[5] http://www.nytimes.com/2016/10/08/us/politics/donald-trump-apology.html?_r=0
[6] Nur ein Beispiel unter vielen: https://www.youtube.com/watch?v=yr8US5tRWu0
[7] https://www.youtube.com/watch?v=yr8US5tRWu0
[8] https://www.youtube.com/watch?v=yr8US5tRWu0
[9] Anmerkung: Die Ähnlichkeit zwischen performativen Äußerungen und normativen Aussagen ergibt sich m.E. daraus, da normative Aussagen ebenso wenig wie performative Äußerungen wahr oder falsch sein können. Deskriptive Begriffe beschreiben, normative Begriffe bewerten bzw. sind handlungsleitend bzw. schaffen einen Sollens-Sachverhalt. In diesem Sinne entsprechen sie performativen Äußerungen
[10] https://www.youtube.com/watch?v=yr8US5tRWu0
Abb. nach: http://www.crashcamfilms.com/ApeShit/AS-pics/Albert%20boob%20grab.jpg/https://s-media-cache-ak0.pinimg.com/564x/8e/61/9f/8e619f2d6a15c3ca99daf87ad4529dfa.jpg

Kategorien
Brandneu

Halbnackt und trotzdem schlau. Können Frauenfiguren in Games gleichzeitig sexuell und emanzipiert sein?

Wer Hotpants anhat, die kaum den Allerwertesten bedecken, dem hört man nicht zu, wenn er über Emanzipation reüssiert. Oder überhaupt über irgendetwas Ernsthaftes.

Klar.

Man ist ja auch zu sehr damit beschäftigt, auf den besagten Allerwertesten zu glotzen.

Ein Problem, das die Entwickler von Tomb Raider (2013) und Rise of the Tomb Raider (2015) erkannt haben und in der Konsequenz der wiederauferstandenen Lara Croft kurzerhand was anzogen. Dann noch ein düsteres Survival-Szenario und die Inszenierung der Verlust der Unschuld oben drauf und fertig: Jetzt kann man Lara Croft ernst nehmen.

Ist es also notwendig, Frauenfiguren in Games zu entsexualisieren bevor man sie ernst nehmen kann? Ist Emanzipation gebunden an Entesexualisierung?

Können Frauenfiguren in Games gleichzeitig sexuell und emanzipiert sein?

Das Problem liegt, wie so oft, außerhalb der Spiele. Es liegt in der vorherrschenden Sexualmoral unserer Gesellschaft. Die Sexualmoral vieler Kulturen – auch die westlicher Gesellschaften – basiert noch immer auf einer bestimmten Überzeugung: Ansehen ist an Sexualität geknüpft.[1] Die moralischen Erwartungen an Frauen und Männer könnten dabei asymmetrischer nicht sein: „[…] Sexuelle Aktivität wird bei Mädchen und Frauen generell kritischer und negativer bewertet wird als bei Jungen und Männern. Nach traditionellen Geschlechterrollen `brauchen´ vor allem Männer Sex und unterstreichen durch sexuelle `Eroberungen´ ihre Männlichkeit, während Frauen in erster Linie Liebe suchen und durch sexuelle `Verfügbarkeit´ an Ansehen verlieren“[2].

Sexuelle Doppelmoral also.

Weil Games als Teil der Medienlandschaft die moralischen Wertvorstellungen einer Gesellschaft notwendigerweise widerspiegeln, herrscht in Spielen das gleiche Prinzip. Eine sexuell zu offenherzige Frauenfigur wird mit entsprechender (Un)Moral verbunden. Man denke nur an die unzähligen sich räkelnden, halbnackten Frauenfiguren in God of War, deren einzige Rolle offensichtlich ist, sich  vom hypermaskulinen, muskelbepackten Held Kratos in Sex-Mini-Games durchnehmen zu lassen. Oder die Spielwelt von Witcher 3, in der sämtliche Frauenfiguren mit optisch überhöhten sexuellen Merkmalen dargestellt werden (große Brüste, Schlanke Taille, breite Hüfte etc.). In der Logik unserer Sexualmoral signalisiert das: Alle Frauen sind damit quasi verfügbar für den männlichen Protagonisten – wieder mal ein muskelbepackter, super-maskuliner Held – Geralt von Riva. Der männliche Protagonist ist in der aktiven Position, die weibliche Figur in der passiven.

Wer aussieht wie eine B****, ist auch eine.

So die Logik hinter der Doppelmoral, von der aus zum victim blaming es nicht mehr weit ist: Wer so einen Minirock anzieht, ist selber schuld. Die männlichen Helden indes dürfen ihre männliche Sexualität in Mini-Games zelebrieren. Aber Lara Croft muss sich erst eine lange Hose anziehen und sich die Brüste verkleinern, um endlich ernst genommen zu werden.

Aber: Sexualität und Emanzipation ist kein Widerspruch.

Sondern lediglich eine Norm. Die, wie jede gesellschaftliche Norm, durchbrochen werden kann. Gerade Games bieten dafür eine wertvolle Versuchsplattform. In ihnen können fiktiv Grenzen überschritten werden, die in der gesellschaftlichen Realität sanktioniert würden bzw. unmöglich sind. Das tun wir im Spiel die ganze Zeit. Wir setzen uns über physikalische Gesetze hinweg –  klettern, springen, fliegen über unmöglichste Hindernisse und Schluchten. Wir schießen, stoßen, schlagen uns durch zahllose Gegner. Wir treffen bewusst Entscheidungen, die unserem moralischen Kompass widersprechen – um im Spiel weiterzukommen oder vielleicht einfach, um zu sehen was passiert.

Dagegen scheint es beinahe eine leichte Übung, die Grenze der sexuellen Doppelmoral in Games aufzulösen. Und es gibt schon Beispiele dafür: Verse, eine Scarlet Fury und unser erstes Partymitglied in Tyranny (2016), ist genauso sexy wie tödlich. Mit Zoe Castillo und April Ryan hat Funcom bzw. Red Thread Games in The Longest Journey (2000), Dreamfall: The Longest Journey (2006) und Dreamfall: Chapters (2014) ein Protagonistinnen-Doppel geschaffen, das weitgehend unabhängig von männlichen Charakteren sämtliche Fäden der Spielwelt in Händen hält. Dass der einzige männliche Protagonist – Kian Alvani – zudem homosexuell ist, ist ein zusätzlicher Geniestreich des norwegischen Game Designers Ragnar Tørnquist. Und Trip, die weibliche Hauptfigur in Enslaved: Odyssey to the West (2010), ist zwar bauchfrei in knappem Top und mit hautenger Jeans unterwegs. Es bleibt aber kein Zweifel, dass sie den Ton angibt und den männlichen Helden komplett unter Kontrolle hat. Das ganz wörtlich. Zu Anfang des Spiels legt sie ihm ein Sklavenstirnband an, das ihn dazu zwingt, sie unter allen Umständen zu beschützen – und ihn zugleich davon abhält, sie selbst anzugreifen. Die Aktiv-Passiv-Verteilung kehrt sich hier um. Der muskelbepackte, hypertestosterongeladene Protagonist ist diesmal also in der passiven Position, die Frauenfigur in der aktiven.

Alle dieser Frauenfiguren wissen genau, was sie wollen. Sie sind emanzipiert und treiben das Spielgeschehen aktiv voran. Sie haben was zu sagen. Wir folgen ihnen deswegen so gerne. Dass sie dabei Hotpants tragen, fällt uns dann gar nicht mehr auf. Ist auch egal.


[1] http://www.focus.de/wissen/experten/lohmann/sexualmoral-frueher-und-heute-keuschheit-als-kapital_id_4656262.html.
[2] Döring, Nicola: „Medien und Sexualität“ in: Enzyklopädie Erziehungswissenschaften Online. Weinheim/Basel: Beltz Juventa 2013, S. 4.

Kategorien
Brandneu

Story Driven Games – Nein, danke! Warum Games keine Story brauchen

Spiele wie Fallout 4 oder The Elder Scrolls V: Skyrim sind wie Rotkäppchen. Eben hat man von seiner Großmama noch eingeschärft bekommen, bloß nicht vom Pfad abzukommen, da findet man sich schon wieder im Wald wieder und hinter jedem Baum lauert ein neues Abenteuer, ein Nebenquest – oder eben auch mal ein böser Wolf. Der Pfad, den man uns anfangs so sehr ans Herz gelegt hat, ist schnell vergessen.

Das geskriptete Epos

Ganz ähnlich funktioniert es bei den Open World Giganten. Ja, es gibt den einen Pfad: die Hauptgeschichte. Aber die sind schematisch meist ähnlich innovativ wie ein Abendprogramm mit Mario Barth: Held rettet Welt. Punkt. Natürlich – die Protagonisten sind verschieden, die Antagonisten ebenso und der Weg hin zur Katharsis auch mal so mal so. Aber im Großen und Ganzen wissen wir, was uns am Ende des Pfades – am Ende des Spiels – erwartet.

Das geskriptete Epos ist vorhersehbar.

Ob uns ein Spiel mitreißt oder nicht, ob es uns beschäftigt halten kann, entscheidet sich vielmehr darin, ob es schafft, uns vom Pfad abzubringen.

Weil wir unbedingt erst noch die Höhle erkunden müssen, in der sich dieses unique item angeblich befindet. Weil wir noch den Hinweisen nachgehen müssen und die Morde des Häuters im Brückenviertel aufklären müssen (Baldur´s Gate II). Oder weil wir nur noch zwei Highever Stoffstücke sammeln müssen, bevor wir uns endlich den knallroten Zauberhut craften können (Dragon Age: Inquisition).

Spielen als Erfahrung

Erst indem wir den Pfad verlassen und uns im Wald verlaufen, setzen wir das Potential des Spiels frei. Kurz gesagt: Das Spiel wird erst zum Spiel, indem wir es spielen.

Was das bedeuten soll?

Hier hilft uns ein Blick in Miguel Sicarts „The Ethics of Computer Games“ (2009). Ein Spiel ist zunächst einmal ein Objekt. Es hat bestimmte Regeln. Um z XP zu erhalten, muss der Spieler a Hobgoblins töten. Wenn der Spieler also a Hobgoblins tötet, erhält er z XP.

So weit, so unstrittig.

Was ist nun aber, wenn die Regel so aussieht: Um b XP zu erhalten, muss der Spieler c unschuldige Kinder töten (wir erinnern uns z.B. an die Little Sisters der Bioshock-Reihe). Die Regel ist dieselbe. Aber wir als Spieler reagieren unter Umständen anders.

Warum?

Das Spiel setzt die Regeln fest. Diese Regeln werden aber erst dann aktiv, wenn der Spieler das Spiel spielt. Wenn das Spiel als Objekt also durch den Spieler als Subjekt ´aktiviert` wird. Jetzt ist der Spieler aber (entgegen manch politischer Meinung) kein willenloser Zombie, der auf das Spiel stößt und durch dieses einseitig beeinflusst wird. Als Subjekt beeinflussen wir das Spiel selbst, indem wir es spielen. Damit meine ich nicht, dass wir cheaten, also die Regeln des Spiels umgehen, sondern, dass wir als Subjekte die im Spiel vorhandenen Regeln immer auf bestimmte Art und Weise interpretieren. So haben wir etwa keine Probleme damit, uns durch Massenfriedhöfe von Hobgoblins zu schlachten, ein paar lumpiger XP wegen, fühlen uns aber gehemmt, für dieselben XP Kinder zu töten. Die Regel des Objekts – des Spiels – bleibt gleich. Nur erleben wir diese anders.

Spielen ist zuvordererst eine Erfahrung.[1]

Wir erleben das Spiel auf individuelle Art und Weise. Erst durch diese Objekt-Subjekt-Beziehung wird das Spiel ´lebendig`. Anders gesagt: „To interact with a system is to create meaning“[2].

Noch Spiel oder schon Kino?

Wir lesen also die Zeichen, die das Spiel uns vorsetzt, und interpretieren diese auf bestimmte Art und Weise. Und hier wird es nun spannend: Natürlich ist die Story eines Spiels auch eine Zeichenabfolge, die wir verstehen. Sie lässt aber wenig oder keinen Spielraum für eigene Interpretationen – eigene Geschichten. Die vorgefertigte Story eines Spiels kann narrativ gut oder schlecht sein.  Sie kann uns unterhalten oder langweilen. Sie ist aber in jedem Fall nicht unsere eigene. Wir schaffen Bedeutung (create meaning) hier nur in einem rein technischen Sinne, nämlich indem wir die Zeichenabfolge verstehen, die das Spiel uns vorliest und diese quasi nachspielen.

Ein gutes Beispiel hierfür sind die ´Decision Simulators` bzw. `Interactive Movies´ von Telltale Entertainment. The Wolf Among Us oder die The Walking Dead-Reihe sind narrativ herausragende interaktive Erzählungen. Spiele im eigentlichen Sinne sind es nicht. Sie nähern sich stilistisch dem Medium Film so sehr an, dass der Spieler zwischen Quick-Time Event Nummer 1 bis n zurück auf den Zuschauerplatz verbannt wird. Ähnliches sehen wir in den optisch atemberaubend inszenierten, aber spielerisch äußerst uninteressanten Quick-Time-Sequenzen etwa bei Tomb Raider und Rise of the Tomb Raider. Gutes Kino, denkt sich der Spieler noch, bevor er Maus/Controller aus der Hand legt und zum passiven Beobachter wird. Er nimmt eine äußerst begrenzte Rolle ein: Er spielt einen interaktive Filmsequenz nach der anderen nach, wobei ihm – vor allem durch die ´moralischen` Entscheidungsmöglichkeiten – paradoxerweise zugleich spielerische Autonomie vorgespielt wird. Was dabei oft übersehen wird: Wir können dabei nur die von der Story vorgegebenen, sehr begrenzten Handlungsäste nachspielen, aber keine wirklich eigenen Geschichten erleben.

Das Dilemma

Gerade bei den ´Decision Simulators`, die ja auf durchaus interessante Art und Weise moralische Konflikte in die Story von Games einzubringen versuchen, führt das zu einem ziemlich seltsamen Dilemma:

Obwohl das Spiel betont moralisch konzipiert ist und auf die moralische Entscheidungsfähigkeit des Spielers  abzielen will, bewirkt es genau das Gegenteil: Es entmündigt den Spieler moralisch, weil es ihn auf die Zuschauerposition verbannt.

Auch hier wieder: Das Schaffen von Bedeutung reduziert sich darauf, der vorgesetzten Story folgen zu dürfen. Natürlich, zwischen dem Leben zweier Menschen entscheiden zu müssen (save Doug vs. Carley in The Walkig Dead Episode I) ist ein moralisch extrem schwieriges Dilemma. Aber: Telltale drängt uns eine moralische Entscheidung auf, deren Konsequenzen jeweils eindeutig vorgegeben sind, weil sie irgendein Subjekt auf Basis irgendwelcher Werte (die uns im Übrigen überhaupt nicht transparent gemacht werden) implementiert hat. Insofern spielen wir keine moralischen Dilemmata durch, sondern spielen eine ganz bestimmte, moralisch aufgeladene Story nach. Und indem wir diese Story nachspielen, wird die Bedeutung prävalent, die die Entwickler in die Story eingeschrieben haben. Alternativen dazu, unsere eigenen Geschichten, bleiben in diesem linearen Storytelling außen vor.

Sapere aude! Ein Hoch auf unsere Geschichten

Bedeutung schaffen wir als Spieler dann, wenn das Spiel uns den Pfad verlassen lässt. Für eine gute Erzählung brauchen wir keine Story. Im Gegenteil. Ein gutes Spiel lässt uns unsere Story selbst schreiben, unsere moralischen Entscheidungen selbst definieren. Sapere aude in Games! Habt den Mut, euch eures eigenen Verstandes zu bedienen. Wir können dann am ehesten unsere eigenen Geschichten erleben, wenn das Spiel in Bezug auf seine Story laissez faire betreibt. Natürlich setzt das Spiel bestimmte Regeln fest. Stellen wir uns das Ganze als einen Boxring vor: Das Spiel legt fest, wie groß der Ring ist, welche Begrenzungen er hat, auf welche Gegner wir darin stoßen können und welche Handlungen und Interaktionen darin erlaubt sind. Dann schickt uns das Spiel in den Ring. Und wünscht: Viel Glück! Die Story hat die Aufgabe, uns ab und an ein Handtuch zu reichen, eine Erfrischung. Sie hat aber nicht in den Ring zu springen und unsere Aktionen zu führen. Sicart trifft das Ganze ziemlich genau: „Even good narratives have to be subordinate to the player-system relation and its ethical implications“[3].

Lasst uns alle mal vom Pfad abkommen!

In diesem Sinne ist ein Spiel wie DayZ im Vergleich zu Telltales ´Decision Simulators` weitaus interessanter. Hier gibt es statt einer Story lediglich eine Spielwelt, die den Spieler in ein bestimmtes Szenario wirft: Die Zombie-Apokalypse. Ohne irgendeine weitere Rahmengeschichte agiert der Spieler intuitiv – er versteht die Zeichen der Spielszenerie, so minimalistisch sie auch sind, ohne Weiteres: Was macht man in der Zombie-Apokalypse? Überleben, essen, trinken, überleben. Dabei trifft er auf Mit- und Gegenspieler, Zombies und überhaupt eine aktive, wenn auch noch immer verbuggte, Spielwelt. Und obwohl – oder eben gerade weil –  das Spiel ihn in keine unmittelbaren moralischen Entscheidungen zwingt, kommt es doch zu genau diesen. Von Kannibalismus bis Altruismus – die moralische Spannweite der Spieler in DayZ ist breit. Die Spieler interpretieren und nutzen die vom Spiel vorgegeben Regeln auf vielfältige Art und Weise und eben daraus ergeben sich individuelle Geschichten.

Und diese Geschichten sind für uns als Spieler letztlich die Stories, die zählen. Warum wir spielen.

Lasst uns also vom Pfad abkommen und uns tief, tief im Wald verirren!

Und wenn wir dann am Ende Fallout 4 spielen und so darüber berichten: „Strike out into the wasteland on a mission to find the man who kidnapped your infant son Shaun. Until you get distracted by picking up garbage. Building a basketball court. Rescuing a beer-making robot. Pretending to be a super hero. Helping a nerd get laid. And accessorizing your dog. Wait…who is Shaun again?“[4] – Dann hat das Spiel alles richtig gemacht.


Abb. 1: http://1u88jj3r4db2x4txp44yqfj1.wpengine.netdna-cdn.com/wp-content/uploads/2013/03/the-walking-dead-graph-by-gamesbeat.jpg.
[1] Sicart, Miguel: The Ethics of Computer Games. MIT 2009: S. 36.
[2] Sicart, Miguel: The Ethics of Computer Games. MIT 2009: S. 35.
[3] Sicart, Miguel: The Ethics of Computer Games. MIT 2009: S. 161.
[4] https://www.youtube.com/watch?v=Y90uj8hs78c.

Kategorien
Brandneu

Die neue Lara Croft: Feministische Emanzipation oder Lust-am-Leid-Porno?

Am 25. Oktober 1996 – vorgestern vor zwanzig Jahren – stand Lara Croft zum ersten Mal im tiefen Schnee. Um sie Wolfsleichen. Die Brüste so spitz wie Madonnas Korsage auf ihrer legendären „Blond Ambition“-Tour 1990 – aus technischen Gründen, nicht aus Lust an der Provokation. Obwohl – Provokant ist diese Spielfigur allemal. Laras Croft weibliche Reize sind so überzeichnet, dass sie eigentlich eher als Karikatur denn als Sexsymbol wirkt. Geil fanden wir´s alle trotzdem und dann hat sie auch noch zwei Knarren, die sie mit sich rumträgt und verdammt kurze Hosen und – zack – eine Legende der Pop-Kultur ist geboren.

Die alte Lara

Aber: In all den Jahren bleibt Lara Croft genauso unnahbar wie sie omnipotent ist. Nichts kann ihr etwas anhaben. Sie mäht reihenweise (meist männliche) Gegner nieder, springt lebensmüde über Gräben und Schluchten und verzieht dabei nicht eine Miene. Soziale Kontakte kennt sie kaum. Wenn sie einmal nicht irgendwo auf der Welt durch Höhlen, verfallene Tempelanlagen oder sonstiges Antikes springt, trainiert sie auf ihrem großadeligen heimatlichen Anwesen. Dort ist auch ihr wohl einziger sozialer Kontakt, ihr treuer tattriger Butler, zu finden, der ihr herzerweichend überallhin folgt, obwohl sie ihn keines Blickes würdigt und mit Vorliebe das Teetablett, das er vor sich herschleppt, umrennt. Kurzum: In zwanzig Jahren haben wir Lara Croft als eine äußerlich hyper-attraktive, quasi-unbesiegbare, unnahbare und irgendwie ziemlich unhöfliche Frauengestalt kennengelernt.

Und dann kam 2013.

Oh Gott ich hab` ein Häschen erschossen!

Square Enix holt Lara Croft aus dem Jenseits der Spielereihen-die-mal-gut-waren-und-dann-irgendwie-abgefallen-sind zurück. Sie bringen eine Figur zurück, auf der zwar Lara steht, die erstmal wenig zu tun hat mit der Superfrau von Damals. Tomb Raider (2013) und Rise of the Tomb Raider (2016) sind der Prolog der Unbesiegbaren. Was davor war, bevor sie zu der Lara Croft wurde, die vor zwanzig Jahren das erste Mal im Schnee vor der Höhle stand, Wolfsleichen um sie. Ihr Körper ist keine Karikatur übertriebener Weiblichkeit mehr. Ihre Sprünge fallen unsicher aus, sie fällt oft und tief.

Und wilde Tiere erschießen? Das endet glatt im Trauma. Das sie aber überraschend schnell überwindet, wenn sie schon kurz darauf ganze Gegnereinheiten zersägt. Über die narrative Spannung zwischen der Darstellung der Hauptfigur als unsicherer junger Frau, die emotional darunter leidet, einen Hasen zu erschießen, nur eine Szene später aber reihenweise Menschen tötet, ist schon viel geschrieben worden. Eine der amüsanteren Bemerkungen stammt von der Feministin und New York Times Autorin Carol Pinchefsky: „Seriously, by the end of the game, she’s murdered up an entire island. Hell, she’s shot more people than you’ve shook hands with“[1]. Die Coming of Age-Interpretation der neuen Lara Croft ist insofern eine Themaverfehlung, weil der Entwicklungsprozess schlicht vorgespult wird. Gameplay und Story stehen in Dauerkonflikt miteinander: „A bottomless chasm separating the story and the gameplay is the biggest problem of this Tomb Raider“[2].

Die neue Lara: Stärker als davor?

Worin sich aber alle einig zu sein scheinen: Die neue Lara Croft ist eine emanzipierte, entsexualisierte Frauenfigur. Die BBC urteilt: „Now, 20 years on, Tomb Raider has evolved and the Lara Croft character is noticeably less sexualised“[3]. Game Spot lobt die „engaging heroine“[4]. NZGamer schreibt: „Tomb Raider (2013) is a mature experience featuring a young, strong woman“ und schließt die Spielekritik sogar ab mit: „Surely there is a lesson there for all of us“[5].

Aber welche Lehre soll das sein?

Sicher, die neue Lara ist zäh. Die neue Lara Croft scheint zunächst feministisch ziemlich einwandfrei. Sie überlebt und handelt unabhängig von der Hilfe männlicher Charaktere, folgt ihrem eigenen Willen und dem, was sie als richtig empfindet (vor allem in der Beziehung Jacob/Lara in Rise of the Tomb Raider zu beobachten) und stapelt als Frau ganze Leichenberge von Männern auf.

So weit, so independent woman.

Aber: Während sie durch lose Bretter bricht, abschüssige Rampen hinunterrutscht, Gegnern auflauert und Sprünge wagt, wird sie von Speerfallen aufgespießt, von Stachelbarrieren aufgeschnitten, von einem Gegner fast vergewaltigt, von einem anderen mit einem Eispickel erschlagen. Alles in Nahaufnahme. Alles mit entsprechender Blut-und-Schreie Vertonung.

Geskripteter Leid-Porno

Oft bekommt der Spieler das Gefühl, die Kontrolle über das Spiel zu verlieren.

In diesem Punkt entsprechen sich Story und Gameplay:  In dem Maße, wie Lara keine Kontrolle auf die Ereignisse zu haben scheint, wird auch uns das Gefühl von Kontrollverlust vermittelt. Das wird vor allem in den zahlreichen Quick-Time-Events und den Hals-über-Kopf Fluchtsequenzen, während um uns ein Tempel einstürzt oder eine alte Mühle in Flammen aufgeht oder alte Minentunnel verschüttet werden, deutlich. Wir können nicht mehr machen als Lara dabei beobachten, wie sie durch Trümmerregen oder Flammeninfernos mehr schlecht als recht stolpert und dabei hin und wieder die richtige Taste drücken. Selbst wenn wir die richtigen Tasten gedrückt haben, bleibt sie an Felsen hängen, reißt sich tiefe Wunden in die Haut, prallt auf Stein und Erde und erinnert nach kurzer Zeit an niemand geringeren als John „blutende Fußsohlen“ McClane, dessen einstmals schneeweißes Rippenshirt am Ende des zweiten Die Hard unkenntlich ist. „Beeindruckend körperlich“ nennt das die Gamestar: „Es ist diese Dynamik, die Rise of the Tomb Raider zu einem beeindruckend körperlichen Abenteuervergnügen macht. Man sieht Lara Croft die durchlebten Strapazen einfach an. Sie verändert sich […] ständig: Beispielsweise werden Laras Kleidung und ihr Gesicht mit der Zeit schmutzig“[6].

Geskripteter Leid-Porno, könnte man auch sagen.

Kontrollverlust

Einen großen Teil des Spiels über verliert die Spielfigur die Kontrolle über ihren eigenen Körper. Und genau hier ist der Punkt, warum die Darstellung der neuen Lara Croft keineswegs so stark und emanzipiert ist, wie die Kritiken es bescheinigen. Die Kontrolle wird ihr und uns entzogen, wenn sie schreiend und wankend durch die Fluchtsequenzen hetzt und alles nur gerade-so schafft. Nur gerade-so dem Tod entkommt. Und selbst wenn wir es schaffen und sie nicht getötet wird, muss sie leiden. Und wir schauen zu.

Wie stark ist die Darstellung der neuen Lara Croft also wirklich? Eine starke Frauenfigur (oder überhaupt eine starke Figur) setzt Kontrolle voraus. Lara dagegen wird von einem optisch beeindruckenden Spießrutenlauf zum nächsten gejagt. Sie verliert ständig die Kontrolle. Der Balken, den sie eben noch als Weg gewählt hat, bricht weg und zwingt sie in einen anderen Weg. Das Spiel selbst verweigert der Spielfigur die Kontrolle. Selbst die berüchtigte Vergewaltigungsszene – als archetypisches Bild der Herrschaft des Mannes über die Frau – ist da nicht anders. Ja, Lara kann sich befreien – vorausgesetzt, wir drücken wieder die richtigen Tasten, ansonsten schießt der Vergewaltiger ihr aus kürzester Distanz in den Kopf – aber auch hier ist es eine Flucht, nicht das Erringen der Kontrolle über die Ereignisse. Pinchefsky bringt das auf den Punkt: „In the end, this wasn’t the controversial scene the trailer implied, but curiously, it’s also not an empowering scene either; given how Lara alternately struggles and overcomes adversity in the rest of the game, she doesn’t so much come out on top here as just escape“[7]. Und fragt schließlich: „Had this younger version of Lara been turned into a victim?“[8].

Die Lust am Opfer

Wir beobachten kein bahnbrechendes empowering der Figur Lara Croft, sondern ein Opfer.

Die neue Lara ist zwar optisch nicht mehr der Porno-Star von damals. Stärke erhält sie dadurch aber noch nicht. Es scheint fast, dass „the developers found a way to bypass just blatanly sexing her up in shorts by having most of her deaths ending in penetration“[9].

Aber warum schauen wir dabei zu? Warum suhlt sich das Spiel in der grafischen Darstellung des Leids seiner Protagonistin? Wie es auf darkstation heißt: „The game dabbles in these moments of immense pain and destruction a little too often, putting a borderline fetishistic focus on Lara´s tortuous welcome to the world“[10]. Die offizielle Erklärung ist die Bindung des Spielers an die Spielfigur. Weil sie leidet und wir es zumindest manchmal verhindern können, lassen wir uns auf das Spiel ein. Keine Immersion also, sondern Empathie. Das Spiel soll unseren Beschützerinstinkt ansprechen. Was das wiederum für die Emanzipation der weiblichen Spielfigur bedeutet, brauchen wir erst gar nicht auszusprechen. Aber davon einmal abgesehen: Wir können Lara längst nicht vor jedem Schmerz retten, den sie im Spielverlauf ertragen muss. Da ist ein Haufen geskriptetes Leid, auf das wir als Spieler keinen Einfluss haben. Und genau hier wird es interessant:

Schiffbruch mit Zuschauer

Warum schauen wir zu?

Es geht um den von Hans Blumenberg in Schiffbruch mit Zuschauer beschriebenen „Moment der Geborgenheit im Hafen“[11]: Der heimliche Vergleich der eigenen Sicherheit mit der Gefahr des Anderen. Das gilt für die Leiden der Lara Croft genauso wie für Splatter-Filme oder überhaupt die mediale Darstellung von fiktiver Gewalt und Leid. Dem Abbé Galiani ist da schon 1771 das entsprechende Licht aufgegangen: „Je sicherer der Zuschauer dasitzt und je größer die Gefahr ist, die er sieht, umso mehr wird er sich für das Schauspiel erwärmen. Hier ist der Schlüssel zu den Geheimnissen der tragischen, komischen, epischen Kunst“[12]. Jetzt könnte man natürlich einwenden: Moment, aber da ist ja der Faktor der Interaktivität von Spielen überhaupt nicht mit einberechnet. Richtig, aber genau dieser Faktor wird ja eben ausgeschaltet in den geskripteten Folterszenen und minimiert in den Quick-Time-Events. Wir sind zurückgeworfen auf die Rolle des Zuschauers, der durch das Leid unterhalten wird, weil es ihn nicht betrifft.

Das doppelte Opfer

Die neue Lara Croft ist also aus zwei Gründen keineswegs eine starke Frauenfigur:

Sie verliert gleich auf zweierlei Arten die Kontrolle: Durch das Spiel selbst – die geskripteten Leidsequenzen und die Spießrutenläufe der Fluchtsequenzen – und dadurch, dass sie Objekt unserer Unterhaltung ist, die wir im sicheren Hafen sitzen und gaffen.

Sie ist nicht nur Opfer des Spiels, sondern auch des Spielers.

Die neue Lara wurde zwar optisch entsexualisiert.

Stärke erhält eine weibliche Figur aber nicht dadurch, dass man ihr lange Hosen anzieht, sondern dass man ihr Kontrolle gibt.


[1]http://www.forbes.com/sites/carolpinchefsky/2013/03/12/a-feminist-reviews-tomb-raiders-lara-croft/#5e1cf0697ac1.
[2] http://riotpixels.com/tomb-raider-review/.
[3] http://www.bbc.com/news/uk-england-derbyshire-37619114.
[4] http://www.metacritic.com/game/pc/tomb-raider.
[5] http://nzgamer.com/reviews/1842/tomb-raider.html.
[6] http://www.gamestar.de/spiele/rise-of-the-tomb-raider/artikel/rise_of_the_tomb_raider,51197,3241430,2.html.
[7]http://www.forbes.com/sites/carolpinchefsky/2013/03/12/a-feminist-reviews-tomb-raiders-lara-croft/#5e1cf0697ac1.
[8] ebda.
[9] http://esmeraldaip.com/are-the-brutal-tomb-raider-death-scenes-sexist/.
[10] http://www.darkstation.com/reviews/tomb-raider-pc/.
[11] Blumenberg, Hans: Schiffbruch mit Zuschauer. Frankfurt a.M.: suhrkamp 1979, S. 27.
[12] ebda, S. 39.