Words are not Actions? Der US-Wahlkampf 2016 und die Sprechakttheorie

14 Dezember, 2016

Sprechen ist nicht gleich Handeln. In einem Wutanfall zu sagen: „Ich bringe dich um!“ ist nicht vergleichbar mit tatsächlichem Mord. Das scheint einleuchtend. Etwas zu sagen ist nicht das gleiche, wie es zu tun. Diese Unterscheidung wurde während der `Pussy-Gate-Affäre´ im US-Wahlkampf 2016 zwischen Donald Trump und Hillary Clinton besonders wirksam. Aussagen mit sexuell übergriffigem Inhalt sind nicht gleich tätlichen sexuellen Übergriffen. Aber was tun wir eigentlich, wenn wir etwas sagen? Und: Tun wir wirklich nichts?

Pussy-Gate

Am 7. Oktober, nur einen Monat vor der Präsidentschaftswahl, veröffentlicht The Washington Post ein Video von 2005, in dem Donald Trump sich brüstet, sexuell übergriffig gegen Frauen sein zu können, da er ein Star sei: „You know I’m automatically attracted to beautiful – I just start kissing them. It’s like a magnet. Just kiss. I don’t even wait. And when you’re a star, they let you do it. You can do anything. Grab ‚em by the pussy. You can do anything.“[1] Nach einiger Unruhe in den Reihen der Trump-Anhänger formiert sich doch bald eine klare Linie, die sich ganz der obigen Prämisse verschrieb. Trump-Anhänger Scottie Nell Hughes bringt es am 8. Oktober auf den Punkt: „It is one thing to say it. It is anoter thing to do it“[2]. Und als sie vom CNN-Moderator wiederholt gefragt wird, ob Trumps Aussagen in dem Video sexuelle Übergriffe beschreiben („Does he describe sexual assault?“[3]) antwortet sie: „If there were actions behind it, then I would say yes. But there are no actions behind it“[4]. Ein Wort ist also nur ein Wort, keine Tat. Worte sind nicht gleich Handlungen (actions). Dieser Logik folgt Trump ebenso wie seine Anhänger. Immer wieder wird betont, seine Aussagen seien nur „Locker Room Banter“[5], also das Zeug eben, was Männer so von sich geben, wenn sie unter sich sind. Die Gegenseite schüttelt währenddessen den Kopf. Locker Room Banter? Im Gegenteil. Trump spreche von sexuellen Übergriffen![6]. Tagelang beherrschen die Aussagen in dem geleakten Video die US-Medien mit der Frage: Locker Room Talk oder Sexual Assault?

Locker Room Talk oder Sexual Assault?

Mit J.L. Austin gesprochen, sind die Vertreter der Gegenseite auf der richtigen Spur. Irgendetwas an den Worten Trumps ist höchst problematisch, auch wenn es sich nicht um eine Tätlichkeit handelt. Irgendetwas ist problematisch an der Aussage: „Ich bringe dich um!“, auch wenn sie keinen direkten Mord darstellt. Aber was? Irgendwie scheint niemand so Recht diese Intuition argumentieren zu können. CNN-Moderator Don Lemon ist nahe dran, als er auf Hughes Aussage: „Am I supposed to sit here and jugde his [Trumps] words? I judge actions.“[7] antwortet: „Yeah, you are supposed to judge his words. And actions on the bus. Those were actions.“[8]. Die Intuition ist richtig. Zumindest folgt man der Sprechakttheorie und ihrem Begründer: J.L. Austin. Aber eines nach dem Anderen.

Klassisch: Manches Sprechen ist Handeln

Klassischerweise wird zwischen konstatierenden und performativen Sprachäußerungen unterschieden. Konstatierende Äußerungen sind deskriptiv und können also wahr oder falsch sein. Sie beschreiben einen Sachverhalt in der Welt. Performative Äußerungen dagegen konstituieren durch den Sprechakt selbst einen Sachverhalt in der Welt. Bei einer performativen Äußerung schaffe ich etwas, indem ich es sage. Das heißt aber auch, dass sie die Eigenschaft wahr bzw. falsch, wie sie die konstatierenden Äußerungen besitzen, nicht hat. Performative Äußerungen sind nicht deskriptiv, sondern normativ.[9] Sie beschreiben nicht einen vorhandenen Sachverhalt, sondern schaffen ihn erst. Performative Äußerungen sind Handlungen, weil sie einen neuen Sachverhalt schaffen. Und: Nur performative Äußerungen sind Handlungen, weil sie etwas neu schaffen, anstatt einen bereits vorhandenen Sachverhalt zu beschreiben.

Ein Beispiel:
Äußerungkonstatierend           „Dieses Auto mit dem Kennzeichen xyz ist gelb“.
Äußerungperformativ               „Ich taufe mein Schiff gelber Wind“.

Äußerungkonstatierend beschreibt einen Sachverhalt in der Welt. Sie kann wahr oder falsch sein. Wenn das Auto etwa nicht gelb, sondern rot ist, ist Äußerungkonstatierend falsch. ÄußerungperformatiV dagegen generiert einen neuen Sachverhalt in der Welt, nämlich, dass das bezeichnete Schiff mit Vollzug des Sprechakts fortan gelber Wind heißt. Was fällt auf? Richtig. Die performativen Äußerungen sind in dieser Logik eher rar gesät. Wir denken an Eheversprechen (Hiermit erkläre ich sie zu Mann und Frau), Babytaufen (Ich taufe dich auf den Namen) und vergleichbares. Durch die Äußerung tritt ein neuer Sachverhalt in die Welt. Der Sprechakt schafft Brautpaare, Identitäten etc. Sprechen ist hier eindeutig handeln. Aber ist das bei Trumps Pussy-Gate der Fall? Nein. Er schafft in seinen Äußerungen keinen neuen Sachverhalt in der Welt. Er beschreibt lediglich seinen Status und die seiner Meinung nach damit einhergehenden Privilegien. Eine konstatierende Äußerung also. Diese Äußerung kann in sich wahr oder falsch sein. Entweder es trifft tatsächlich zu, dass er mit Frauen alles machen kann, was er will. Oder nicht. Die Aussage ist aber nicht normativ. Sie schafft keinen neuen Sachverhalt in der Welt. Also: Ist Trumps Aussage tatsächlich nur eine Aussage. Keine Handlung. Die Locker Room Banter-Partei behält Recht. 1:0 für Trump.

Oder?

Austin: Alles Sprechen ist Handeln

Nicht ganz. Schauen wir uns noch einmal Lemons Aussage an: „Yeah, you are supposed to judge his words. And actions on the bus. Those were actions.“[10]. Irgendwie hat er Recht. Zumindest haben wir diese Intuition. Aber warum? Und hier landen wir endlich bei J.L. Austin.

Erinnern wir uns an das obige Kapitel? Die Geschichte mit der Unterscheidung zwischen konstatierenden und performativen Äußerungen?

Gut.

Und jetzt vergessen wir die Unterscheidung!

Genau dafür argumentiert der Philosoph und Begründer der Sprechakttheorie J.L. Austin. Seine Argumentation in Grob: Konstatierende und performative Äußerungen können auf dieselbe Art und Weise misslingen. Wenn sie so unterschiedlich wären, wie man uns weismachen will, dann wäre das nicht möglich. Demnach sind konstatierende und performative Äußerungen gleichzusetzen.

Fancy ausgedrückt – P sind die Prämissen und K die aus Prämissen P1-P3 logisch folgende Konklusion:

(P1)             Alles Sprechen besteht aus performativen und konstatierenden Äußerungen.
(P2)             Performative Äußerungen sind Sprechakte (performatives Sprechen ist Handeln).
(P3)             (Nach Austin:) Konstatierende Äußerungen sind performative Äußerungen.
(K)              Alles Sprechen ist Handeln.

Dass P1 und P2 gelten, haben wir oben ja schon herausgefunden. Alles hängt jetzt also an P3. Hier muss Austin beweisen, dass konstatierende und performative Äußerungen tatsächlich gleich sind. Dann, und nur dann, gilt die Konklusion K – und Trump hätte ein Problem.

Das gemeinsame Misslingen

Schauen wir uns also P3 an. Wie argumentiert Austin? Wie gesagt, er kritisiert die Trennung zwischen konstatierenden und performativen Äußerungen. Konstatierende Äußerungen können auf die gleichen Arten misslingen wie performative Äußerungen. Das ist der gemeinsame Nenner beider Äußerungsarten und bewirkt, dass konstatierende Äußerungen mit performativen Äußerungen gleichzusetzen sind. Es gibt drei Arten des Misslingens, die konstatierende und performative Äußerungen gleichermaßen betreffen können:

(1) Nichtigkeit aus Mangel an Bezugsobjekten
(2) Selbstannulierung der Aussage durch Mangel an Aufrichtigkeit bzw. Missbrauch des Verfahrens und
(3) Bruch der Verpflichtung.
Her mit den Beispielen!

Nichtigkeit aus Mangel an Bezugsobjekten

Einfacher: Eine für die Gültigkeit der Äußerung notwendige Voraussetzung ist nicht erfüllt.
Äußerungkonstatierend           „Dieses Auto mit dem Kennzeichen xyz ist gelb UND es gibt kein Auto mit dem Kennzeichen xyz.“
Äußerungperformativ             „Ich taufe mein Schiff gelber Wind UND ich habe kein Schiff.

Äußerungkonstatierend setzt genauso voraus, dass es das Auto mit dem Kennzeichen xyz gibt, wie Äußerungperformativ , dass der Sprecher tatsächlich ein Schiff hat. Beide Äußerungen misslingen also auf die gleiche Art: Aus Mangel an Bezugsobjekten.

Selbstannulierung der Aussage

Einfacher: Etwas wird irrtümlich zu verstehen gegeben, entweder durch Mangel an Aufrichtigkeit oder durch den Missbrauch des Verfahrens

Äußerungkonstatierend                „Dieses Auto mit dem Kennzeichen xyz ist gelb UND ich glaube nicht, dass es gelb ist.“ (Mangel an Aufrichtigkeit)
Äußerungperformativ                  „Ich taufe mein Schiff gelber Wind UND ich habe nicht die Absicht, es so zu taufen.“(Missbrauch des Verfahrens)

Auch hier misslingen beide Äußerungen auf die gleiche Art: Äußerungkonstatierend „Dieses Auto mit dem Kennzeichen xyz ist gelb“ gibt zu verstehen, dass der Sprecher dies auch glaubt und Äußerungperformativ „Ich taufe mein Schiff gelber Wind“ impliziert, dass der Sprecher auch beabsichtigt, das Schiff auf diesen Namen zu taufen.

Bruch der Verpflichtung

Einfacher: Sprecher brechen die in einer bestimmten Äußerung implizite Verpflichtung, sich auf bestimmte Weise zu verhalten oder bestimmte Aussagen (nicht) zu treffen.

Äußerungkonstatierend                „Dieses Auto mit dem Kennzeichen xyz ist gelb UND später sagt der Sprecher es ist rot.“
Äußerungperformativ                  „Ich taufe mein Schiff gelber Wind UND behandle es wie einen roten Teufel.“

Durch die Äußerungkonstatierend „Dieses Auto mit dem Kennzeichen xyz ist gelb“ verpflichtet sich der Sprecher dazu, bestimmte zukünftige Aussagen, die diesem Sachverhalt widersprechen, nicht zu tätigen.  Indem er später behauptet, das Auto sei rot, bricht er diese Verpflichtung. Genauso wie die Äußerungperformativ den Sprecher dazu verpflichtet, das Schiff in seinem Verhalten als gelber Wind zu behandeln. Das Beispiel hier ist ziemlich kafkaesk. Es sei aber angenommen, dass ein Schiff mit dem Namen gelber Wind gänzlich anders behandelt wird als ein Schiff mit dem Namen roter Teufel.

Sexual Assault Talk ist Handeln

Die Konklusion von oben gilt also. Weil konstatierende und performative Äußerungen auf die gleiche Art misslingen können, ist die Trennung zwischen ihnen nicht haltbar. Unsere Intuition – von Lemon auf den Punkt gebracht – ist richtig. Was uns stört an Hughes Aussage, das sei ja alles nur Gerede gewesen und keine Handlung, ist genau das, was Austin beschreibt. Worte sind nicht nur Worte. Jede konstatierende Äußerung ist zugleich performativ. Alles Sprechen ist Handeln. Das heißt natürlich nicht, dass Mord gleichzusetzen ist mit dem Ausruf „Ich bringe dich um!“. Eine hate speech ist noch kein hate crime. Wir müssen natürlich unterscheiden zwischen Vergewaltigung und dem Reden darüber.

Aber die Unterscheidung ist lediglich eine graduelle, keine binäre.

 


 
[1] https://www.washingtonpost.com/news/wonk/wp/2016/10/07/the-real-issue-with-donald-trump-saying-a-man-can-do-anything-to-a-woman/?utm_term=.9038f713a58d
[2] https://www.youtube.com/watch?v=CmK6Ci3RIHU
[3] https://www.youtube.com/watch?v=CmK6Ci3RIHU
[4] https://www.youtube.com/watch?v=CmK6Ci3RIHU
[5] http://www.nytimes.com/2016/10/08/us/politics/donald-trump-apology.html?_r=0
[6] Nur ein Beispiel unter vielen: https://www.youtube.com/watch?v=yr8US5tRWu0
[7] https://www.youtube.com/watch?v=yr8US5tRWu0
[8] https://www.youtube.com/watch?v=yr8US5tRWu0
[9] Anmerkung: Die Ähnlichkeit zwischen performativen Äußerungen und normativen Aussagen ergibt sich m.E. daraus, da normative Aussagen ebenso wenig wie performative Äußerungen wahr oder falsch sein können. Deskriptive Begriffe beschreiben, normative Begriffe bewerten bzw. sind handlungsleitend bzw. schaffen einen Sollens-Sachverhalt. In diesem Sinne entsprechen sie performativen Äußerungen
[10] https://www.youtube.com/watch?v=yr8US5tRWu0
Abb. nach: http://www.crashcamfilms.com/ApeShit/AS-pics/Albert%20boob%20grab.jpg/https://s-media-cache-ak0.pinimg.com/564x/8e/61/9f/8e619f2d6a15c3ca99daf87ad4529dfa.jpg