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Am Rande der Nacht – Schwerer Unfall nach dem Nordkap

Vor etwas mehr als einem Monat stand ich mit meinem Fahrrad am Nordkap. Nachdem ich zuvor 30 Tage lang ohne einen einzigen Pausentag die 3.400 km von Nürnberg dorthin zurückgelegt hatte. Allein. Nur mit meinem Rad und Zelt.
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Jetzt liege ich mit einem zertrümmerten Bein seit einer Woche im Krankenhaus. Ein Unfall mit dem Mountainbike im Schlepplift, nichts Dramatisches, nichts Leichtsinniges. Eine Banalität, die in meinem Bein nichtsdestoweniger einen Trümmerbruch verursachte und auch das Kniegelenk in Mitleidenschaft zog.
Kurz und knapp: Ein komplizierter Bruch. Ein langer Weg zur Genesung. In welche Richtung diese am Ende gehen wird, weiß niemand.
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Vor etwas mehr als einem Monat stand ich am Nordkap und hatte eine Rundumsicht dieses kargen, schneebedeckten Endes der Welt. Vor mir der Ozean. Dahinter nichts. Ich roch den Wind und die Wolken und den Schnee und all diese Freiheit dazwischen.
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Jetzt liege ich seit einer Woche in derselben Position im Krankenhausbett. Ein Fixateur, ein externes Metallgestänge, das an vier Stellen in Oberschenkelknochen und Schienbein verbohrt ist, hält meinen noch unbehandelten Bruch in Position. Ich kann nicht aufstehen geschweige denn gehen. Mein ganzes Leben spielt sich in ein und derselben Position ab. Neben mir meine Habseligkeiten auf die Größe eines Krankenhaustisches verteilt. Draußen vor dem Fenster brennt der Sommer und Vögel zwitschern. Manchmal hört man Kinder lachen.
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Vor etwas mehr als einem Monat war ich am Horizont und der Horizont in mir und der Himmel war überall um mich.
Jetzt sehe ich einen kleinen Ausschnitt des Himmels durchs Krankenhausfenster, eine Erinnerung an den Horizont. Mehr nicht.
Der Himmel ist fern jetzt. Auch der Horizont. Und gerade der absurde Kontrast zwischen der absoluten Unabhängigkeit des allein Reisenden unter freiem Himmel und des bewegungsunfähigen Kranken in ein und demselben geschlossenem Raum, Tag für Tag, trifft schwer.
Ich weiß nicht, was sein wird. Aber ich sehe, dass dies eine weitere Reise ist. Die schwerste bislang. Schwerer selbst als der letzte Tag zum Nordkap mit 140 km Eis in der Luft und extremem Gegenwind und 29 Reisetagen in den Beinen. Hier geht es nicht mehr um das Erreichen ehrgeiziger sportlicher Höchstleistungen oder das Gehen an die eigenen Leistungsgrenzen.
Hier geht es darum, am Rande der Nacht nicht in die Dunkelheit zu fallen.
Nicht aufzugeben, nicht den dunklen Gedanken oder zweifelnden Stimmen Gehör zu schenken. In der Bewegungsunfähigkeit und im Schmerz und dem Unwissen, was sein wird liegt ein letztes, ein größtes Rückfallen auf das Selbst.
Hier geht es darum, am Rande der Nacht das Licht nicht aus den Augen zu verlieren.

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RIDE YOUR F**** BIKE! in der Zeitung – Damals und Heute

Einsamkeit im Live-Ticker als Paradox des modernen Reisens. Und wie war das eigentlich früher? Da war bekanntlich alles anders. Aber wie genau?
Stephan Matthiesen, der heute in Schottland lebt, und ich haben die gleiche Reise unternommen – von Nürnberg zum Nordkap mit Rad und Zelt. Aber zwischen unseren Reisen liegen 30 Jahre.
Wie wir beide die Reise erlebt haben, welche Unterschiede, Hindernisse und Lehren sie für uns hatte, beleuchtet der wunderbare Beitrag von Timo Schickler.

Folgt mir auf meiner bekloppten Tour hier oder auf Facebook, Instagram oder Twitter! (LINKS in der Social Media Leiste)

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RIDE WITHOUT BORDERS!

Ladies Only-Bike Events an jeder Ecke, pinkpastellene Töne im Marketingkonzept der „Ride Beyond Stereotypes“-Aktion des Reisegepäckherstellers Ortlieb, das seine eigenen vermeintlich feministischen Anspruch negiert. Die Ermächtigung der Frau im Bikebetrieb bleibt allzu oft in eben den Stereotypen verhaftet, die sie zu überwinden strebt.
Das alles war bereits im Artikel „#unpink – Der neue Ladies Only-Sexismus“ nachzulesen.
Das hier ist kein weiterer Artikel.
Dies ist ein Aufruf.
An alle Frauen, Männer, Transgender, Kinder, an einfach alle da draußen, die auf einem Bike sitzen wollen und hoch, runter, quer oder queer, zum Bäcker oder zum Ende der Welt radeln wollen.
Warum isolieren wir uns so oft selbst? Warum – und hier kann ich nur aus meiner Warte als Frau nun die Frauen ansprechen – wollen wir denn „unter uns“ fahren? Weil die Jungs „immer schneller“ sind? Weil die Jungs so „mit Ellenbogen fahren“? Weil wir mit den Jungs nicht die gleichen Gespräche führen bzw. Gesprächsthemen haben? Weil wir öfter pinkeln müssen und *hihi kichernd* Kuchenpausen machen wollen und die nicht und die immer so doof über Technik und so reden und „wir“ darüber, ob die Farben unseres Trikots zu unseren Rahmen passen? Wirklich? Das sind alles Klischees, die wir selbst nur allzugern bedienen.
Warum? Weil man es von uns erwartet. Weil man Mädchen nunmal immer noch pinke Puppen schenkt und Jungs blaue Autos.
Aber sind wir nicht längst erwachsen?
Kann es wirklich sein, dass wir nicht irgendwann darüber nachdenken, welch treffende Karikatur unser kulturell erlernten Stereotypen wir oft selbst sind?
Warum isolieren wir uns selbst in geschlossenen Geschlechterkategorien? Weil es bequem ist, weil wir uns wohlfühlen, weil es unseren Bauch streichelt. Wir bewegen uns in geschlechterstereotypen Echokammern. Geil, da kann uns nichts passieren. Da legen wir noch flugs einen pinken Filter drüber und schon ist alles altbekannt.
Klar wollen wir, das sich etwas ändert. Dass Frauen wirklich als so unabhängig auch wahrgenommen werden, wie sie oft schon längst sind. Aber bloß niemanden vor den Kopf stoßen. Wir sollen ja höflich sein und so. Wie das uns die pinke Puppe damals schon gelernt hat.
Nur:
So werden wir nicht schneller oder besser . Schneller und besser werden wir nur, wenn wir mit allen fahren. Und vor allem auch mit den Jungs, die „immer so schnell und viel zu gut fahren“. Versucht doch, wenn ihr auf solche trefft, einfach mal dranzubleiben.
Und weitaus am schlimmsten: So ändert sich nichts. Wir schaffen nur neue Räume der Isolation, in denen wir ein bißchen Independence und Selbstermächtigung spielen. Aber bitte in dem Farbschema, das uns die Gesellschaft vorgegeben hat. Und so bleibt es pink.
Ich sage: Geht raus! Verweigert den reinen Mädelstreff in eurer Stadt, sucht Männer, hängt euch an die dran oder hängt sie ab. Mischt euch, redet, radelt. Vergesst die pinken Puppen und die blauen Autos.
RIDE WITHOUT BORDERS!
 
 

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Zu Gast bei BlätterRauschen

Mit Hochdeutschland, Löwen wecken und Die Tagesordnung waren beim gestrigen BlätterRauschen in der Kulturkellerei Nürnberg gestern hochkarätige, gesellschaftskritische, beeindruckende und nachdenklich machende Bücher am Start.
Ich selbst habe Joshua Groß Der Trost von Telefonzellen vorgesellt – und, was soll ich sagen: Es war mir ein Fest dieses verrückte, verdammt lustige, verdammt traurige Buch ins Plenum zu werfen. Thompson, Kerouac, alle wären stolz!
Aber Klappe zu und lass das Buch sprechen. Meine Lieblingspassage (als die beiden Protagonisten auf einer verlassenen Baustelle des Nachts Tapeziertische für ihren Buchverkauf auf einem schwülen Parkplatz im Nirgendwo der fränkischen Provinz klauen):

Scheiß drauf, dachte ich. Das ist wenigstens mal ein Tag, der nicht die elende Kopie eines anderen ist. Das ist wenigstens mal eine Konfrontation mit dem, was man manchmal Leben nennt. Das ist wenigstens mal eine warme Nacht, in der ein Dichter einen Tapeziertisch klaut, ein intellektueller Vagabund, ein bescheuerter Doktor, Seite an Seite mit einem bekloppten Maler, ein kaputtes Herz, ein zerstörter Verstand, und tagsüber sieht alles so normal aus, man fährt durch Bayern, diesen lächerlichen Bundesstaat ohne Kulanz, und dann wackelt dieses orange Licht aus den Lampen und man ist verflucht traurig und jedes Lächeln schmerzt, aber man lächelt trotzdem, weil es schön ist und weil Buddha gesagt hat, dass Leben sowieso Schmerz bedeutet und weil zwei Kumpane immer noch einige Kisten voll Bücher im Auto haben und Brause und eine Mundharmonika und das Manuskript von Thelonious Bosch und eine guave-Kompilation und dann ist man sich fast sicher, dass man nicht immer so einsam ist, aber selbst wenn man einsam bleibt, hat man immer noch Freunde und eine Wasserpfeife und es gibt keinen Grund, nicht zu lächeln.
(Was man nicht alles auf 20 m denken kann, hm?)

Way to go, Joshua, du Hundesohn ;)!
Danke an die KulturKellerei für die Einladung und an Thomas Höreth für die Moderation!

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GAIN Magazin: Verkehrte Welt – Spiele gegen den Strom

Seit es Spiele gibt bestreiten wir epische Schlachten gegen Orkhorden oder Panzerbataillone, befreien Prinzessinnen und retten die Welt. Wieder und wieder und wieder. Dabei folgen die meisten Spiele klaren Regeln. In einem Fantasy-Rollenspiel gibt es Drachen, keine Raumschiffe. In einem Sci-Fi-Horror wiederum findet man kaum Goblins. Ein rundenbasiertes Strategie-Spiel funktioniert nach anderen Regeln als ein Ego-Shooter. Spiele stecken in engen Korsetts der Genreabhängigkeit und Massentauglichkeit. Geht es auch anders? Lässt sich mit Konventionen brechen? Und was würde das bedeuten? Wir machen uns auf die Suche nach Spielen gegen den Strom.

JETZT in #6 GAIN Magazin!

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RIDE YOUR F**** BIKE! INTERVIEW bei BR BAYERN plus

Von Bären, Ängsten und dem verflixten Kurz-Vor-Dem-Ziel: RIDE YOUR F**** BIKE! Von Nürnberg zum Nordkap in 30 Tagen zu Gast bei Petra Mentner auf BR BAYERN plus.

 

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RIDE YOUR F**** BIKE! Von Nürnberg zum Nordkap in 30 Tagen. EPISODE 15: AM ENDE DER WELT!

3.400 km. 13.500 Höhenmeter. Kein einziger Pausentag. Ganz allein. Von Nürnberg zum Nordkap. Und das alles in 30 Tagen. Am 1. Mai fuhr ich am Hauptmarkt Nürnberg los. Mit 35 kg Zuladung auf meinem unter seiner Last ächzenden Specialized AWOL Elite.

Heute, jetzt, genau 30 Tage später, stehe ich am Nordkap.
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Meine Achillessehne ist seit Tag 6 überreizt und macht das Laufen beschwerlich, die Knie sind die Dauerbelastung nicht gewohnt und begannen kurz danach zu protestieren. Ich habe einiges an Gewicht verloren, was bei mir ohnehin schon Strich-in-der-Landschaft-Persönchen eher problematisch ist und Handrücken und Wangen sind tiefbraun mit einem leichten Stich ins Erdig-Braune, welches wohl tatsächlich dreckbedingt ist. Die Satteltaschen sind abgerieben, mein Rad mehr grau als weiß und mit der wilden Sammlung an Plastiktüten (Ich habe gelernt, immer Notfallnahrung dabeizuhaben, da man sich in den Weiten Skandinaviens nicht auf die allgegenwärtige Existenz von Supermärkten verlassen kann), Socken (zum Trocknen) und einem grünkarierten Geschirrtuch (dito) auf seinem Heckträger wirke ich mehr wie ein Landstreicher als noch der schneidig-saubere Radreisende, als der ich so strahlend gestartet bin.
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Hier bin ich also nun. An einem Ende der Welt. 30 Tage lang bin ich der Straße gefolgt, immer nach Norden, immer weiter.
Habe mich durch die Windmühlenheere Deutschlands gekämpft im Gegenwind bis Rostock.
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Habe mich von Trelleborg aus wochenlang durch den endlosen Wald, der Schweden heißt, geschlagen.
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Um schließlich, nach einem kurzen (1 Tag) und surrealen Abstecher durch die finnische Weite, nach Norwegen zu gelangen.
Ich erinnere mich, als ich an Tag 2 in Erfurt war, wie weit entfernt von Zuhause es mir schien.
So weit geradelt!
Wie lächerlich das nun scheint. Ich erinnere mich, wie schwer mir die ersten paar Tage mit 110 und mehr Kilometer täglich gefallen sind. Wie müde und abgeschlagen ich war. Bis mein Körper irgendwo in Lappland wohl begriff, dass ich es ernst meinte. Dass ich nicht umdrehen werde, nicht aufgeben. Dass ich keine Pause machen würde. Irgendwann dann hat er es wohl aufgegeben. Es tat immer noch weh. Aber der Schmerz alltäglich, Gewohnheit. Wie ein guter alter Freund erinnerte er mich daran, dass mein Körper noch funktionierte, eben weil er schmerzte.
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Das Wetter meinte es gut. Viel Sonne, kaum Regen, steter Gegenwind, aber selten mehr als 25 oder 30 Kilometer lang von der schlimmen Sorte, die einem den Lenker verdreht und die Tränen in die Augen treibt. Das Wetter meinte es gut.
Bis kurz vor dem Ziel.
Auf der Hochebene hinter Alta begann die Kälte, Graupel, Sturmböen. Verkrustete Schneefelder überall und tote Birken, die wie gebrochene Fingerknöchel aus dem Morast staken.
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Und natürlich, wie konnte es anders sein, der letzte Tag war der schwerste. Es war fast, als würde der Weg meine Konstitution und – vor allem – meinen Willen noch ein letztes Mal auf die Probe stellen wollen. 130 km, über 1000 hm konstantes Hoch-Runter-Hoch, 6 Grad, Regen. Und Sturmböen. Aus Nordwest. So wie die Route verlief, genau frontal kommend. Dann 2 Grad. Kurz vorm Nordkap dann Schneefall.
Der Körper hält viel. Gutes Material ebenso. Das wirkliche, grundsätzliche und eigentlich Herausfordernde liegt ganz woanders. Im Geist. Die psychische Konstitution, nicht die physische, lässt uns letztlich ankommen. Oder umdrehen, abbrechen, aufgeben. Freilich, das richtige Material und ein durchschnittlich gesunder Körper sind wichtig. Aber es ist der Wille, der den Unterschied macht.
Das erste und einzige Mal, dass ich daran gezweifelt habe es zu schaffen, war 19 Kilometer vor dem Nordkap. 19 km vorher, in Schnee und mit brennendem Gesicht, nach 30 Tagen unter freiem Himmel und ohne Pause täglich auf dem Rad. 19 km vorher wisperte diese kleine Stimme: Halt an. Setz dich einfach hin. Hör auf. Schlaf.
Ich bin weitergefahren.
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Was will ich aber nun eigentlich hier? Was sollte sie, diese Reise? Selbstzweck? Sportlicher Ehrgeiz? Neugierde? Narzissmus? Die Antwort auf diese Frage kann nur jeder für sich selbst finden oder eher: Die richtige(n) Frage(n) kann nur der stellen, der sich selbst auf die Reise begibt. Egal, wohin. Egal, womit. Egal, ob allein oder mit anderen. Ich denke, das Menschsein konstituiert sich durch das Reisen. Auf Reisen sind wir gänzlich ungeschützt konfrontiert mit dem uns Unbekannten und Fremden. Und erst diese Schutzlosigkeit zwingt uns aus kognitiven und physischen Mustern heraus, die wir in unserem Alltag einstudiert haben, um uns sicher zu fühlen. Wir dürfen uns aber nicht sicher fühlen. Damit wir wachsen können.
Was will ich nun hier? Ich stehe am Nordkap und sehe auf das Meer und spüre ein letztes Mal den Wind beißend im Gesicht, der mir so lange wahlweise ein Feind schien – wenn er mir entgegenstand – oder ein Freund – wenn er mir den Rücken stärkte. Dieser Weg ist zu Ende. Meine Reise hat ihr Ziel gefunden.
Ich atme ein.
Aber als ich so stehe und in den Wind lausche, meine ich ein Wispern zu hören. Von fernen Horizonten und dem Unbekannten. Von einer Welt, die nur darauf erwartet, noch entdeckt zu werden. Von mir und meinem Rad. Und ich begreife, dass der Weg hier nicht endet. Dass er überhaupt kein Ende hat. Dass das Ende dieses Weges nur der Anfang eines anderen ist. Wir kommen nicht an, wir sind immer unterwegs, solange wir atmen.
Ich atme aus.
Wohin geht der Weg als nächstes?
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EPILOG: Was vom Tage übrig blieb

 

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RIDE YOUR F**** BIKE! Von Nürnberg zum Nordkap in 30 Tagen. EPISODE 14: On the road (IV)

Es ist der dreiundzwanzigste Tag auf der Straße. Die E45 ist einsam geworden, die Lücken zwischen den Städten, Ortschaften, Gehöften immer größer, bis ich schließlich begreife, dass die Lücken zwischen der Zivilisation nicht größer wurden, sondern nur die Risse in der Natur kleiner.
Jetzt ist sie überall.
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Und es sitzt mir jenes leise Wispern im Rücken, das die Ohren spitzt und auf Gefahr lauscht. Ich bin unruhig. Ich bin so viel Wildnis nicht gewohnt. Die Wälder sind endlos um mich, dazwischen Marschland und Totholz.
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Ich klammere mich an die Straße wie ein Ertrinkender. Der Teer und die ausgewaschenen Begrenzungslinien werden mir zum letzten Bollwerk der Zivilisation gegen die Wildnis, die alles zu verschlingen droht. Und so scheinen auch die wenigen Höfe, die sich hier verstecken, ihr Heil in der Illusion von Ordnung zu suchen. Das Stück Rasen um die Häuser ist penibel gestutzt und perfektionistisch gepflegt. Pastellfarben-liebliche Deko steht in den Gärten und auf Fenstersimsen und überall herrschen klare Strukturen. Verzweifelt, möchte man sagen, denn nur wenige Meter entfernt beginnt die endlose Wildnis.
Kultivierte Vorgärten neben Rentierleichen. Kultur neben Natur.
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Was versuchen wir hier, wenn nicht, die Wildnis im Zaum zu halten. Keeping the wild at bay. Das Englische findet ein passendes Bild dafür. Wir stellen uns gegen die Flut des Wilden, Unbeherrschten und potentiell Unbeherrschbaren. Mit jedem rasierten Rasen. Mit jedem fein säuberlich platzierten Gartenzwerg. Mitten in der Wildnis wird hier Kulturlandschaft geschaffen, ein Mikrouniversum der seeligen Illusion von Sicherheit durch Ordnung. Es erinnert an die Anfangsszene aus M.Night Shyamalans The Village, in der eine Bande pausbäckiger Halbstarker sich der ultimativen Mutprobe stellt: Mit dem Rücken zum tiefen, dunklen Wald, der das Dorf umgibt und von vermeintlichen Ungeheuern heimgesucht wird, stellen und die Augen schließen. Und nicht umdrehen. Egal, was man hört. Nicht umdrehen.

Auch ich schaffe mir mein Mikrouniversum illusionärer Sicherheit. Hier in meinem Zelt. Schließe ich den Reißverschluss und krieche ich in den wohligen Kokon meines Schlafsacks fühle ich mich sicher. Hier herrscht Ordnung. Hier haben alle Dinge ihren von mir zugewiesenen Platz. Hier schaffe ich Kultur in Mikrowelten.
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Draußen, indes, bleibt freilich die Wildnis und die Dunkelheit. Und meine Zeltwände halten nichts ab außer Regen und böse Träume. Aber das reicht. Zumindest für unseren Geist. Hier bin ich sicher. Die Illusion ist ebenso vollkommen wie letztlich fragil. In meinem Papierhaus aus konstruierter Sicherheit habe ich keine Angst im Dunkeln. Es ist ein bißchen so, wie die Hände über die Augen zu legen, wenn das Monster unterm Bett uns erspäht hat. Es ist Irrsinn. Aber es hilft.

Vielleicht ist das der Ursprung aller Kultur – weil wir Angst im Dunkeln haben. Und da ich hier in meinem Zelt sitze und mit allen Mitteln die Nacht aussperre und das schreibe, erinnere ich mich an Margaret Atwoods großartige Kurzgeschichte „Das Zelt“, die von eben jenen Ängsten und Illusionen handelt: „Warum glaubst du, dass dein Schreiben, diese Graphomanie in einer dürftigen Höhle, dieses Hin- und Her- und Rauf- und Runtergekritzel auf den Wänden dessen, was nun wie ein Gefängnis vorzukommen beginnt, in der Lage sein sollte, überhaupt irgendjemanden zu beschützen? Dich eingeschlossen. Es ist eine Illusion, dieser Glaube, dass dein Buchstabensalat eine Art Panzer ist, so etwas wie ein Zauber, denn niemand weiß besser als du, wie zerbrechlich dein Zelt in Wirklichkeit ist.“
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Die Szene endet damit, dass die Ängste, die Wildnis, und all jenes, das da draußen lauert, nicht at bay gehalten werden kann: „Wind kommt herein, deine Kerze fällt um und flammt auf, und eine lose Ecke des Zeltes fängt Feuer, und durch den sich weitenden, schwarzgeränderten Riss kannst du die Augen der Heulenden sehen, rot und im Licht deiner brennenden Papierzuflucht glänzend, aber du schreibst trotzdem weiter, denn was sonst kannst du schon tun?“
Also schreiben wir weiter, stellen weiter Gartenzwerge in den Vorgarten und entzünden Kerzen in der Nacht. Machen wir Kultur, damit wir keine Angst im Dunkeln haben müssen.


EPISODE 15: On the road (V)

 

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RIDE YOUR F**** BIKE! Von Nürnberg zum Nordkap in 30 Tagen. EPISODE 13: On the road (III)

Alleine reisen heißt nicht einsam reisen. Auch wenn ich mich nach 17 Tagen auf der Straße zunehmend erwische, dass ich mit mir selbst rede (eine reflexive Übung, die man übrigens jedem nur ab und ans Herz legen kann – ist ziemlich heilsam) – Begegungen gibt es doch genug. Sie sind es, die die Einsamkeit verhindern, die einen erinnern, dass man ein Mensch unter Menschen ist und kein stummer kleiner Prinz, der auf seinem ganz eigenen einsamen Planeten um sich selbst kreist.
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Letztlich ist jedes Selfie die Definition der Einsamkeit.

Begegungen

… wie auf einem Hof abseits der Straße hinter Ytterhogdal, einer besseren Geisterstadt in Zentralschweden. Verzweifelt bin ich einem handgemalten Schild B&B hinterhergestolpert, das mich tiefer und tiefer in den Wald führte, fort von der Teerstraße, gefühlt fort von aller Zivilisation. Angekommen am Ende der Straße empfangen mich zwei kläffende Hunde. Der Hof ist verlassen. Auf der Veranda eine Nummer. Ich rufe an. Eine Deutsche geht hin! Mitten am gefühlten Ende der Welt gerade nun das! Ja, sicher könne ich bei ihnen übernachten, ich solle einfach schoon mal reingehen (!), sie ruft ihren Lebensgefährten an, der ist Schwede und zeigt mir alles. Und ich brauche mir keine Gedanken machen – er ist ein ganz Lieber.
 

Drinnen öffnet sich eine Märchenwelt. Zart und liebevoll dekoriert, so sauber, man könnte vom Boden essen.
 

Während ich mich noch wundere, was sie mit dem Hinweis auf ihren Lebensgefährten meinen kann, geht die Tür auf und herein kommt … eine Mischung aus Tom Bombadil und einem Stammesältesten der Hell’s Angels.
Ein Riesenkerl mit rotem Bart und rotem Gesicht, Lederweste und Tattoos bis oben hin.
Er passt in das pastellsüße Dekor ungefähr so hinein wie Obelix in eine römische Marmorhalle. Aber als er mir die Hand gibt und vom Haus erzählt und den Hunden und ob er mir mit irgendwas helfen kann, weiß ich, was sie meinte. Der ganze Mensch atrahlt eine menschliche Wärme aus, die so hell leuchtet wie sein Bart. Als ich am nächsten Morgen aufs Rad steige, die Hunde aufgeregt um die Beine springend (sobald ich das Haus betreten hatte, waren wir Freunde), umarmt er mich fest, klopft mir auf die Schulter und meint, wie sehr er mich bewundert.
Er, der aussieht, als würde er jetzt gleich vor dem Frühstück noch einen Wald fällen und ein Haus bauen und Nägel mit der blanken Faust reinschlagen – ER bewundert MICH. Ich fahre los, und anstatt mit mir selbst zu reden, singe ich. Es ist ein guter Tag.

IMG_20180514_212533_879IMG_20180513_190442_220IMG_20180513_185809_830Begegnungen

… wie irgendwo auf der endlosen E45, die nach Norden führt, immer nach Norden, plötzlich ein Rennradfahrer neben mir auftaucht. Wohin ich denn so fahre? Er habe eine kleine Trainingstour für ein 300 km-Rennen vor sich. Wie weit er fahre? Och, heute nur 200 km. Uff. Ich komme mir mit meinem vollbepackten Rad und mit Winterhandschuhen und Wollmütze neben dem nur mit einer Windjacke bekleideten hyper-aerodynamischen Typen vor wie ein Windfang. Was bin ich dagegen schon mit meinen 110 km im Schnitt am Tag? Aber er ist ein heiterer Mitfahrer, begleitet mich eine ganze Weile. Wir brauchen die ganze Spur, die (seltenen) Autos hupen. Er winkt jedem. Mwn höre an der Art des Hupens, ob sich die Autofahrer gerade aufregen oder dich anfeuern, meint er. Und in Schweden sei jedes Hupen ein Anfeuern. Dann erzählt er von seiner Oma, die einmal tatsächlich von einem Bären überrascht wurde. Sie war im Wald Blaubären pflücken und da kam der Bär. Aber der hatte es nur auf Omas Blaubären abgesehen. Sie kam mit einem Schreck und ohne Blaubären davon. Zwischendrin ruft er „Elche!“ und tatsächlich. Am Straßenrand stehen zwei Elche, ziemlich irritiert, als würden sie auch nicht so recht wissen, wie mit dem windschnittigen Typen auf dem neonfarbenen Rennrad und dem keuchenden Winterwollknäuel daneben umzugehen sei. Sie entschließen sich dann für das meist weiseste: Ignorieren. Irgendwann verabschiedet sich der Rennradler mit Handschlag und den weisen Worten „Better drink a beer than meet a bear!“. Prost darauf!
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EPISODE 14: On the road (IV)

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RIDE YOUR F**** BIKE! in der Zeitung!

„Nora und das Nordkap“. Treffender Titel zu der inzwischen entstandenen Hassliebe zwischen mir und der bereichernden, quälenden, wunderbaren und erbarmungslosen Radreise von Nürnberg zum Nordkap in 30 Tagen. Kein Pausentag, jeden Tag durchschnittlich 110 km auf dem Sattel. Bei Wind, Wetter, Lust und Unlust.
Perfekt eingefangen von Timo Schickler! DANKE!

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