A classic point&click adventure about mysterious happenings, fantastic creatures, dreams and what really is important in life.
Coming soon…
Coming soon…
2085. Overpopulation on earth has been unstoppable. People all over the world suffer as hunger crises strike. New Gorad. 200 million residents live inside the city borders of New Gorad. Chemicals and industrial waste poison the ground water. Fresh water does not reach the inner city anymore. Millions face their inevitable death, if there will be no aid. But there is hope: Pure Blue 1.
It is day three after the initiation of Pure Blue 1. But something went wrong.
Meet Oscar, who has been struck down by a mysterious disease. As he barely recovers, he finds New Gorad deserted…
WASD – Basic Movement (Alternative: Arrow Keys)
Space – Jump
LMB – Place Portals (Portal Gun needed)
Ich bin sicher, dass er schießen wird. Immerhin habe ich das Gewehr in der Hand – wenn auch keine Munition. Gesehen habe ich ihn erst in letzter Sekunde. Und er mich. Nun stehen wir also da, beide etwas unschlüssig. Beide mit gezogener Waffe. Ich bluffe.
Er auch? Er läuft ein wenig rechts, ein wenig links, unruhige Finger auf Tastatur. Er will ein möglichst schlechtes Ziel abgegeben – für den Fall. Der Motorradhelm auf seinem Kopf ist pristine, er glänzt beinahe. Mit zwei Freunden habe ich mich in Drozhino verabredet. Aber ich bin eben erst gespawnt in Elektro. Ein weiter Weg. Ist er hier schon zu Ende?
Vor lauter Aufregung komme ich mit dem Finger kaum an die Caps Lock-Taste: In Game Chat.
On.
„Hello?“ höre ich mich, durchaus etwas piepsig, sagen. Der Mann vor mir mit dem Motorradhelm und gezogener Pistole hört auf, hin und her zu laufen.
„You a girl?“ Der Akzent ist eindeutig. Ich frage zurück: „Bist du deutsch?“. Es dauert einen Moment – er steckt die Waffe weg. Dann kommt der Daumen nach oben: F7 – Thumbs up. Ich tue es ihm nach und stecke mein (ohnehin ungeladenes) Gewehr fort.
Den Daumen zeige ich ihm nicht. Man muss ja seine Distanz bewahren in diesem Spiel. Besser vorsichtig sein, nicht zu enthusiastisch auf Fremde reagieren. Man hört von zu vielen Geschichten, in denen arglose Wanderer auf die Menschlichkeit, die uns doch vermeintlich alle solidarisch verbinden sollte, vertraut haben und dann in Hinterhalte gelockt wurden. Erschossen, erstochen, geknebelt, verdurstet, mit faulen Früchten gefüttert und verendet.
Die Zombies in Chernarus sind das geringste Problem. Viel gefährlicher sind die Spieler.
Ich bin also vorsichtig. „Ok dann – viel Spass noch“ murmle ich noch höflich. Höflichkeit ist eine Tugend; auch weil ich noch immer keine Munition habe und niemanden reizen sollte, der eine Waffe hat, die unter Umständen geladen ist. Dann laufe ich rückwärts Richtung Nordwesten. Immer den Mann mit Motorradhelm im Blick. Hinter einer alten Scheune verschwindet er endlich aus meinem Blickfeld. Puh. Ich drehe mich um und laufe los. Die Wiese dahinter liegt auf einer Hochebene, steigt steil nach oben, um danach sanft wieder abzufallen. Das Land ist weit vor mir. Die Sonne steht tief. Ich laufe über die Wiese. Immer wieder sehe ich um mich. Nichts und niemand. Fast bin ich unten am schützenden Waldrand. Fast.
Da sehe ich etwas auf meiner Höhe am anderen Ende der Wiese. Ein Zombie? Nein, es schlägt zu viele Haken, ist zu unruhig. Ich laufe ein Stück näher. Kurz verschwindet das Etwas hinter einem Baum, der einsam auf der Wiese steht. In mir meldet sich leise die Angst. Unsicher sehe ich um mich. Ich ziehe die Firefighter-Axt.
Als ich mich wieder umdrehe, steht er vor mir.
Der Mann mit dem Motorradhelm.
Er kann gerade noch die Arme hochreißen. Ich halte die Axt über dem Kopf, zum Schlag bereit. Mein Finger drückt viel zu fest auf den Mausklick. Wenn ich loslasse, schlage ich zu.
„Warte“ sagt er. Ich zögere. Dann drehe ich mich zur Seite und lasse erst dann los. Die Axt fährt ins Leere.
Wieder stehen wir einander gegenüber. Was will er von mir, denke ich. Warum ist er mir gefolgt? Ich stecke die Axt nicht weg. „Folgst du mir?“ frage ich. „Ja“ meint er. Zumindest ehrlich. „Warum?“. Einen Moment Stille, in dem er seltsam vor und zurück läuft, immer nur ein paar Schritte. Überlegt er so? „Niemand sonst da“ antwortet er schließlich „Is´ langweilig“. Er hat so einen Ghetto-Slang in seiner Stimme, dass sich alles anhört, als würde er es nicht sagen, sondern rappen. Ich überlege noch, ob Langeweile ein akzeptabler Grund ist, laufe dann schließlich einfach weiter. So wird man doch am ehesten Menschen los. Indem man sie ignoriert.
Nur ihn nicht.
Er folgt mir auf dem Fuß.
„Wohin willste denn?“ fragt er.
Nicht gut.
Klar, das ist zunächst eine unschuldige Frage. Nur: So etwas wie unschuldige Fragen gibt es in Chernarus nicht. Was ist, wenn ich ihm antworte? Vor meinem inneren Auge spielen sich Schreckensszenarien ab. Männer mit Motorradhelmen umringen meine Freunde in Drozhino. Und ich – der Verräter. Der, der die Schuld zu tragen hat. Und haben sie nicht erst eine MOSIN gefunden? Wie könnte ich verantworten, dass sie die so rasch wieder verlieren?
„So Nordwest“ antworte ich vage. Ich habe keine Lust, in die falsche Richtung zu laufen, nur um ihn auf eine falsche Fährte zu locken. Es ist schon spät und meine Freunde warten. Und da ist noch etwas. In mir fragt etwas sehr leise: Und wenn er nichts im Schilde führt? Keine düstere Agenda hat? Wenn ihm einfach nur langweilig alleine ist?
Als hätte er meine Gedanken gehört, sagt er plötzlich: „Isch kenn´ Chernarus. Wohin genau willste denn? Isch bring´ dich hin“.
Und dann sagt er etwas, was auf einer Menge Ebenen – und nicht nur in Chernarus – Sinn macht: „Zu zweit is´ besser als allein“.
Manchmal, denke ich, muss man im Leben einfach etwas wagen. „Ok“ gebe ich zurück. „Ich treffe Freunde in Dozhino“. Wie viele Freunde das sind, lasse ich mal offen. Sicher ist sicher.
Wir haben den Waldrand erreicht. „Kein Problem“ meint er, „Isch kenn den Weg. Folge mir“.
Und ich folge ihm.
Ich muss verrückt sein.
Mein neuer Gefährte stellt sich bald als sehr gesprächig heraus. Er erzählt von Chernarus, vom Looten und davon, was sich alles geändert hat, seit er das erste Mal gespielt hat. Und er spielt seit Anfang an. Und oft. Er läuft ein Stück vor mir. Ich ihm hinterher.
Da kommt ein Zombie wie aus dem Nirgendwo. Ich sehe ihn zu spät. Er greift mich an. Der Mann mit dem Motorradhelm reagiert sofort. Er zieht seine Axt, holt aus. Der Zombie fällt. „Check´ auf Blutung“ meint er. Und tatsächlich. Der Zombie hat mich noch erwischt. Der Mann mit dem Motorradhelm bückt sich. Vor mir auf dem Boden erscheinen Bandagen.
Ich schäme mich.
Ich schäme mich, ihn für einen postapokalyptischen Mörder gehalten zu haben.
Eine Zeitlang laufen wir schweigend.
Irgendwann fragt er, ob ich denn öfter spiele. Warum, frage ich. Er druckst ein wenig herum. Er würde halt gerne mit Leuten spielen, meint er dann. Hat er denn keine Leute, frage ich. Doch, klar, gibt er zurück. Aber is´ halt schwierig. Macht ihm nicht mehr so viel Spaß. Ich frage weiter: Warum?
Was dann kommt, habe ich nicht erwartet.
Ja, der Kannibalismus war ihm dann doch zu hart.
Kannibalismus? Ich muss schlucken.
Fesseln und Beklauen – das ist eine Sache, meint er.
Er fällt ein Stück zurück. Wir laufen jetzt gleichauf.
Und lustig is´ es halt schon – die verfaulten Früchte zu verfüttern.
Ich laufe unmerklich ein Stück von ihm weg.
„Schon lustig. Wir halt so zu fünft, sechst. Also der andere keine Chance. Erstmal Klamotten ausgezogen. Dann gefesselt“.
Meine Finger nähern sich Nummerntaste 1: Die Axt.
Habe ich einen Fehler gemacht?
Er lacht ein wenig. Über den Chat hört sich das an wie Husten:
„Und dann gab´s die verfaulte Banane“.
Ich schweige. Der Finger bleibt über Taste 1. Ich warte ab. Wir laufen jetzt über ein Plateau. Da steht eine Scheune. Ich will ihr entgegen laufen, aber er meint nur, lohnt sich nicht, hier ist alles gelootet. Verdammt, so kann ich nicht entkommen.
Ich stecke fest: Mit einem viel zu gesprächigen Ex-Mörder, irgendwo im Nirgendwo der Postapokalypse.
Über Teamspeak informiere ich meine beiden Freunde, dass ich auf dem Weg zu ihnen bin – mit moralisch fragwürdigem Anhang. Und die Diskussion entbrennt. Sollen sie uns auflauern und ihn dann umbringen? Seine Ausrüstung scheint ja nicht schlecht zu sein. Und verdient hätte er es doch ohnehin. Mit der Vergangenheit. Ich überlege. Hinter dem Teamspeak, im In Game Chat, erzählt der Mann mit dem Motorradhelm fröhlich weiter Geschichten aus dem Fegefeuer. Aber er hat mir geholfen. Wie kann ich ihn da umbringen? Und etwas wiegt vielleicht noch schwerer: Ich laufe mit ihm seit beinahe einer halben Stunde durch Chernarus. Seit beinahe einer halben Stunde spricht er mit mir. Er spricht mit mir. Er ist nicht einfach nur ein Haufen Pixel mit einem Motorradhelm darauf. Er hat eine Stimme.
Ich entscheide mich gegen die Exekution. Wir beschließen, ihm zunächst aufzulauern und abzuwarten, was passiert.
Währenddessen erzählt der Mann mit dem Motorradhelm weiter von verfaulten Früchten und den Freuden virtueller Folter. Solange alles – wie er meint – in Maßen ist.
Als seine Leute dann mit dem Menschenfleisch ankamen, da war für ihn das Maß voll.
Kannibalismus – sowas macht er nicht. Hat er nie gemacht. Er nicht. Und auf einmal hört er sich an wie ein erzkatholischer Dorfpriester, der gerade zwei Jungs beim Händchenhalten erwischt hat. Ich denke, schon spannend, wo die Grenzen der Moral für den Einzelnen verlaufen. Und dann auch noch so deutlich. Folter? Ist doch lustig. Kannibalismus? Empörend! Seit er sich gegen den Verzehr von Menschenfleisch ausgesprochen hat, ist er auf der Flucht. Vor seinen eigenen Leuten. Und schrecklich allein. Was man deutlich heraushört: In der Gruppe hat er sich wohlgefühlt. Er hat sich stark gefühlt. Das ist jetzt nun nichts Neues. Warum sollten Gruppendynamiken virtuell weniger greifen als in der analogen Welt? Dass einer wie er dieses wohlige Gefühl des Kollektivmördertums freiwillig aufgibt, ist schon erstaunlich.
Und wie wir da so laufen, wird mir klar: Der Mann mit dem Motorradhelm ist eigentlich gerade auf der Couch. Ich meine, die Freud´sche Couch. Ich meine, die Couch, die vermeintlich bei jedem Psychotherapeuten von hier bis Kamtchatka in der Praxis steht. Und ich bin der Psychotherapeut. Nun, wahrscheinlich hätte jeder, der ihm über den Weg gelaufen wäre und in nicht erschossen hätte, diese Rolle bekommen. Er hat das Bedürfnis, zu erzählen. Dieser Ex-Mörder will resozialisiert werden. Er sucht nach Menschen, mit denen er wieder nicht-alleine sein kann. Und er weiß, dass er sie nicht findet, wenn er jeden auf seinem Weg mit verfaulten Früchten füttert. Ist das schon eine Katharsis?
Wir nähern uns Drozhino.
Meine Freunde sind unruhig. Sie glauben, jemanden gesehen zu haben, nicht weit vom Dorf entfernt. Der Mann mit dem Motorradhelm schweigt jetzt auch. Hat er doch irgendjemandem verraten, wo wir sind? Es liegt etwas in der Luft. Oder ist es nur das Spiel, das einen paranoid macht? Hier gibt es keine Läuterung, nur Show. Meint mein Freund über TS. Ich sehe mich um. Der Mann mit dem Motorradhelm ist etwas zurückgefallen.
Wir sehen das Ortsschild schon.
„Wo sind jetzt deine Leute?“ fragt er. Seine Stimme hört sich nicht gut an. Er scheint nervös. Meine Freunde bleiben in Deckung. Sie sehen uns. Da war noch jemand, sagen meine Freunde. Mindestens einer. Bleibt unten, sage ich. Ich kann nicht einschätzen, was wir tun sollen. Das ist eine Falle, sagen sie. „Ist das ´ne Falle, oder was?“ fragt der Mann mit dem Motorradhelm. Ich laufe weiter. Was soll ich tun? Gleich da vorn hinter dem roten Haus sitzen meine Freunde. Der mit der MOSIN sagt zu mir: „Ich hab´ ihn. Soll ich?“. Stille im TS.
Soll er?
Nochmal fragt der Mann mit dem Motorradhelm: „´Ne Falle oder was?“
Dann zieht er seine Pistole.
„Ok“ sage ich im TS zu meinem Freund mit der MOSIN. Es ist ein Schuss zu hören.
Viel zu laut scheint er hier in diesem kleinen Dorf zwischen Birken.
Der Mann mit dem Motorradhelm ist sofort tot.
Der In Game Chat ist deaktiviert. Ich bin froh darüber. Ich nehme seine Pistole, seine Ausrüstung. Nur seinen Motorradhelm, den rühre ich nicht an. Dann durchsuchen wir das Dorf und die Umgebung. Im angrenzenden Wald finden wir einen Zombie. Niemanden sonst. Der Mann mit dem Motorradhelm hat wohl tatsächlich niemandem unsere Position verraten. Außer ihm war da niemand. Er war allein.
Bevor wir Drozhino in Richtung Airfield im Norden verlassen, frage ich mich noch, was das jetzt wohl mit seiner Katharsis gemacht hat.
Tage danach geht das Gerücht von einem, der sich einen Spaß daraus macht, Spielern aufzulauern, nur um sie zu zerlegen, ihr Fleisch zu braten und anschließend als grausige Brotkrumen in Dörfern auszulegen um neue Opfer anzulocken.
Es heißt, er trägt einen Motorradhelm.
Jedes Spiel besteht aus einer bestimmten Anzahl einzelner Komponenten – quasi seine chemische Zusammensetzung. Es hat eine Spieldauer von X Stunden, bemüht die Story Y und beruht auf der Spielmechanik Z. Wenn wir über Spiele sprechen, beziehen wir uns oft auf diese Elemente. Wenn wir Spiele bewerten, sieht das ganz ähnlich aus: Was soll der Story-Mode in Baldur´s Gate Remastered? Viel zu einfach und der komplette Gegensatz zu dem, was das Original zum legendären Spielspaß machte: Ein Schwierigkeitsgrad, der sich gewaschen hat! Das Balancing bei Dishonored? Einmal die Teleporter-Fähigkeit an und – zack! – Corvo kann Gegner am Fließband ins Reich der Träume befördern. Und die Spieldauer von Inside? Für den Preis schon ziemlich ärgerlich.
Balancing, Spieldauer, Hintergrundstory – alles nur mechanische Einzelemente eines Spiels. Sie bilden das Gerüst des Spiels. Warum es so funktioniert, wie es funktioniert. All diese Einzelemente zusammengenommen machen ein Spiel aus. Ob ein Spiel gut oder schlecht ist hängt davon ab, ob seine Mechanik gut oder schlecht ist. Macht Sinn, oder? Deshalb die Tendenz des Spielejournalismus, die Mechanik der Spiele analytisch zu durchleuchten. Um herauszufinden, ob ein Spiel gut ist oder nicht, wird seine Mechanik daraufhin analysiert, ob sie gut ist oder nicht. Wie ein Chemiker, der untersucht, aus welchen Bestandteilen eine Droge besteht. Die Immersion, das Spielen selbst – das, was der Spieler dann am Ende fühlt, wenn er vor dem Bildschirm sitzt, ist doch nur das Ergebnis all dieser Elemente gemeinsam. Die Spielelemente bestimmen, wie wir ein Spiel erleben.
Oder?
Nein, meint Kieron Gillen, Spielejournalist und Autor des „New Game Journalism Manifesto“. Der analytische Zugang zu Spielen greife zu kurz. Ein hermeneutischer, immersiver Ansatz müsse her. Kurzum: „Write travel journalism to imaginary places“! Der derzeitige Spielejournalismus, so Gillen, vermittelt etwas sehr Begrenztes: Er soll dem Leser ausreichend Informationen stellen, die ihn zu einer Entscheidung befähigen, ob er ein bestimmtes Spiel nun spielen soll oder nicht. Anders gesagt: Ob er ein bestimmtes Spiel nun kaufen soll oder eben nicht: „Games Magazines are, primarily, buying guides“. Ungefähr so, wie ich mich durch Testberichte arbeite, bevor ich den neuen Kühlschrank kaufe. Aber darum geht es ja vielleicht gar nicht. Vielleicht will ich ja einen Eindruck von einem Spiel bekommen, ohne es vielleicht gar jemals selbst spielen zu wollen, einen Eindruck von dem, wodurch es sich auszeichnet, wie die „Stimmung“ ist, welche Geschichten (auch mit oder gegen andere Spieler) ich damit und darin erleben kann. Ob es Orte bietet für Anekdoten. Für Erinnerungen. Für Geschichten. Oder in Anlehnung an den Travel Journalism: Wo man am besten looten…äh…essen gehen kann in DayZ.
Der derzeitige Spielejournalismus beschränkt sich auf die Analyse von Spielmechaniken. Eben wie genannter Chemiker, der untersucht, aus welchen Bestandteilen die Droge besteht.
Das kann aber nicht fassen, wie die Wirkung der Droge auf den ist, der sie nimmt.
Dieses Ergebnis ist ein Ergebnis des Zusammenspiels verschiedener mechanischer Komponenten, ja. Aber nicht nur. Ein Spiel ist immer ein Spiel + x. Das Spiel selbst besteht aus all den verschiedenen Komponenten, die zusammen eine bestimmte Spielerfahrung simulieren. Wie diese Spielerfahrung aber letztlich aussieht, bestimmt das + x. Und das ist stets subjektiv. Darauf spielt Gillen in seinem „Manifest“ an, wenn er meint, dass der Wert eines Spiels nicht im Spiel selbst, sondern im Spieler liegt. Durch diesen Zugang könnte sich vor allem ändern, dass Spielemedien typischerweise ein Spiel nur solange auf dem Schirm haben, solange es a, noch nicht erschienen ist (Preview) oder b, gerade neu erschienen ist (Test). Dies passt natürlich zu der erwähnten Eigenschaft, dass sie primär „Einkaufsführer“ sind. Wenn ich den Kühlschrank, nach langem Wälzen der Testberichte, endlich gekauft habe, brauche ich ja keine weitere Auseinandersetzung mit dem Thema Kühlschrank.
Was nun spannend wäre, und was der New Game Journalismus will, wäre, an dem Punkt erst richtig mit dem Schreiben über ein Spiel zu beginnen, wenn es schon erschienen ist. Und das auf die Art eines Reisenden in einer fremden Welt – eben im Stil des „travel guide for imaginary places“. Ja, Storyhintergründe und Kontexte eines Spiels werden auch im Spiele-Test behandelt. Aber lediglich als kurzer Faktenabriss, der sich oft liest wie dieser schreckliche eingerahmte Kasten aus dem Geschichtsbuch 8. Klasse Gymnasium: Langweilig. Und das auch zu Recht, da die wenigsten Spiele die narrative Reichweite eines Bioware-Epos haben. Aber das ist auch nicht wirklich wichtig. Die Story des Spiels selbst ist selten das, was ein Spielerlebnis für den Spieler besonders macht (oder eben nicht). Es ist die Story des Spielers, die ausschlaggebend für den Spielspaß ist. Das, was er erlebt hat in dieser anderen Welt, welche Geschichten er zu erzählen hat. Gillen meint, es reiche nicht aus schlicht zu schreiben, was in dieser Welt vor sich geht. Man muss dem Leser begreiflich werden lassen, wie es sich anfühlt, in dieser Welt zu sein. Es ist wie mit einem guten Reisebericht: Man liest und ist unterhalten und lernt sogar etwas über diese andere Welt, ohne dass man selbst in diese andere Welt aufbrechen müsste und auch wenn man überhaupt nicht vorhat, selbst einmal dort hinzureisen.
Der New Game Journalism kennt keine Wertungstabellen mit Prozenturteilen, Infokästen oder Vergleichswerten. Er beschreibt, wie es sich anfühlt, dort zu sein. Der Blogger Ian „Always Black“ Shanahan hat es in seinem Artikel „Bow, Nigger“ vorgemacht. 2004 in einem Multiplayer-Erlebnis während eines Zweikampfes in Jedi Knight II entstanden, erzählt „Bow, Nigger“ mit Anleihen an Hunter S. Thompson und Truman Capote die ganz persönliche Geschichte des Spielers im Spiel. Zugleich wird das subjektive Erlebnis aber im Rahmen der Welt von Jedi Knight II verhandelt: Duelliertricks und -tipps werden im direkten Zweikampf besprochen. Kodices der Jedi-Ritter, die zwischen den Spielern große Bedeutung haben wie etwa die Verbeugung vor dem Kampf, werden wirksam, weil sie der Gegner des Spielers im Duell wohlweislich missachtet. Der Spieler verbeugt sich trotzdem. Nicht, um seiner virtuellen Rolle als Jedi-Ritter zu entsprechen. Sondern aus dem Trotz heraus, das (spielintern) Richtige zu tun, selbst wenn der Gegner das Duell mit der Aufforderung „Bow, Nigger“ beginnt. Der Artikel, der nun folgt, ist so dynamisch wie das Duell selbst. Und als der Spieler am Ende, mit einem einzigen verbleibenden Health Point, tatsächlich siegt, ist es nicht nur ein Sieg über einen unbekannten Gegenspieler in Jedi Knight II, sondern ein Sieg über Rassismus und über die Hybris des Menschen. So zumindest fühlt es sich an. Der Artikel endet mit: „I´m a fucking hero. A real one“.
Das Spiel selbst kann das nicht erklären: Spieler kämpfen mit Laserschwertern mit oder gegen Spieler in einem Multiplayer-Forum im Franchise des Star Wars-Universums. Das ist im Großen und Ganzen die Spielmechanik. Widerstand gegen Rassismus, Respekt vor dem jeweils Anderen, Abkehr von menschlicher Hybris – das alles sind Narrationen, die das Spiel nicht enthält. Der Spieler selbst erst erschafft diese, indem er spielt. Indem er spielt, schreibt er Geschichte in fremden Welten. Es sind diese Geschichten, die der New Games Journalismus erzählen will.
So könnte ein neuer Zugang zu Games eröffnet werden. Einer, der eine viel größere Zielgruppe erreichen kann als bislang der Fall. Eben weil sich dieses Schreiben über Games nicht auf die Mechanik beschränkt. Die kann letztlich nicht erklären, warum Menschen weltweit Stunden um Stunden vor Bildschirmen verbringen und sich ihre Zeigefinger/Daumen/oder sonstige Zockerextremitäten wundspielen, ohne darüber nachzudenken, dass es nun soundsoviele Levels gibt und wieviele Waffen eigentlich und hey, das Balancing, ist das denn ausgeglichen? Dieses neue Schreiben über Games wendet sich zurück auf die grundlegende Frage: Warum denn überhaupt Gaming? Und gibt dann so viele Antworten, wie es Menschen vor Bildschirmen gibt.
Herr K. hatte in diesem Sommer ganze drei Wochen Urlaub, als er sich entschloss, den Jakobsweg zu gehen.
Er kündigte also seine Abwesenheit im Büro an, ordnete seinen Schreibtisch, gab die Katze zu den Nachbarn, kaufte sich einen Rucksack, besah sich einige Karten und ging los. Er ging wohl aus ähnlichen Gründen los wie die meisten anderen; und sie alle hatten etwas mit einem Irgendwie zu tun: Herr K. war irgendwie mit seiner Arbeit unzufrieden und irgendwie auch mit dem Reihenhaus, in dem er mit der Katze wohnte, seit seine Frau ausgezogen war. Er war irgendwie unzufrieden mit dem, was er tagaus, tagein tat und irgendwie half auch das Glas Rotwein am Abend nicht mehr. Aber genauso, wie er nur irgendwie wusste, dass etwas nicht stimmte, wusste er nicht, was genau es war oder wie er es ändern könnte. Er hatte dann wohl im Fernsehen eine Dokumentation über jemanden gesehen, der auch irgendwie unzufrieden gewesen und daraufhin den Jakobsweg gelaufen war. Am Ende der Dokumentation wurde gesagt, dass es eine ganz besondere Erfahrung gewesen wäre und einen irgendwie zurück zu einem selbst gebracht hätte (so zumindest meinte der Kommentator).
Herr K. hielt das für eine gute Idee. Zumal er keine andere hatte.
Er lief also los.
Drei Wochen, so meinte er (und so hatte es auch in der Dokumentation geheißen und in diversen Ratgebern, die er sich in der Bibliothek zu diesem Zwecke geborgt hatte), müssten sicherlich ausreichen. Zumindest ausreichen, um zurück zu sich selbst zu finden (immerhin war es ja sein kompletter Jahresurlaub).
Er lief also los.
Die ersten Tage verliefen recht gut. Natürlich taten ihm bald die Füße weh und der Rucksack war ihm von Tag zu Tag schwerer und er begann, Socken am Wegrand zurückzulassen und die Bücher, die mitgenommen hatte (für den Fall, dass ihm einmal langweilig werden könnte). Er traf auch viele Menschen auf dem Weg, Pilger wie er, die früh aufstanden, um die ersten am Nachmittag in der Herberge zu sein und die oft herumsaßen und sich darüber unterhielten, ob das Meer in Australien nun blauer war als das Meer in Kantabrien und ob der Kaffee in Astorga besser wäre als der in Estella bei der Herberge mit den blauen Fensterläden und wieviel Kilometer mehr der eine als der andere an diesem Tag gelaufen wäre. Herr K. war nur selten herumgekommen und hörte meistens zu und weil er auch nicht mehr Kilometer jeden Tag als alle anderen lief (eigentlich sogar weniger), konnte er auch dort nicht viel mitreden und saß meistens also da und trank sein Glas Rotwein jeden Abend. Wie daheim. Seine Katze fehlte ihm.
Aber er lief weiter.
Am Ende der ersten Woche traf er am Wegrand eine alte Frau. Die hatte ihre Schuhe ausgezogen und ihre Füße waren voll Blasen und ihre Fersen offen. „Es ist schon spät“ rief sie ihm zu, als er an ihr vorüberging, „willst du mir wohl nicht helfen zum Dorf“ sagte sie, und wies auf ihre wunden Füße. Herr K. war gut in der Zeit und entschied sich also, der alten Frau zu helfen. Zusammen schnürten sie ihre Schuhe an Herrn K.s Rucksack und gingen zum Dorf. Aber die Frau war sehr langsam und sie erreichten das Dorf erst spät. Als sie endlich ankamen, war die Herberge schon voll. Nur ein Bett war noch frei. Herrn K. schmerzten seine Füße doch sehr und sein Rücken war krumm, da er die Alte gestützt hatte. Aber er ließ ihr das Bett und legte sich vor der Herberge ins Gras. Am nächsten Tag schlief er so lange, dass er viel zu spät loskam. Sein Rücken war durch die Nacht auf dem Boden noch krummer als davor und seine Füße taten ihm weh.
Aber er lief weiter.
Aber weil sein Rücken so krumm war, kam er nur langsam voran und fiel bald hinter seinen Zeitplan zurück. Als er eine weitere Woche gegangen war, kam ein Mann ihm entgegen, ein Fahrrad schiebend. „Es ist schon spät“ rief der, als Herr K. an ihm vorüberging „und mein Kette ist gerissen. Willst du mir wohl nicht helfen?“ fragte er. Herr K. schaute auf seine Uhr und sah, dass es tatsächlich spät war und er schon weit hinter seinem Zeitplan. Aber er blieb stehen und besah sich die Kette und schraubte ein wenig mit dem Kettennieter herum und sah dabei aber immer wieder auf seine Uhr. Er hatte ja nur drei Wochen Zeit für den Weg und um zurück zu sich selbst zu finden. Und nun hatte er schon viel Zeit verloren. Am Ende versicherte er dem Mann, dass er alles versucht hätte, der Bolzen aber einfach nicht mehr hineingehen wollte und meinte noch, es tue ihm wohl leid, aber dass er nun weiter müsste.
Und so ging er weiter.
Aber als er im Dorf ankam, war die Herberge schon voll bis obenhin und er musste wieder im Gras davor schlafen. Vom Bücken und Stützen und Tragen war sein Rücken nun so krumm, dass er kaum schlafen konnte. Und als er am nächsten Tag endlich loskam, waren alle schon weit vor ihm und er weit hinter seinem Zeitplan.
Aber Herr K. lief weiter.
Nur sah er nun ständig auf seine Uhr und lief so rasch er konnte. Was natürlich weder seinen Füßen noch seinem Rücken gut bekam. Zu allem Überdruss stellte er fest, dass er in Bezug auf das Zurück zu sich selbst noch keine Fortschritte gemacht hatte. Er war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, der alten Frau zu helfen und dem Mann mit dem Fahrrad. Und dann war er viel zu sehr damit beschäftigt, dass ihn sein Rücken schmerzte und seine Füße und zu guter Letzt war er viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, etwas sagen zu könne, wenn die braungebrannten Pilger mit den breiten Hüten diskutierten, ob das Meer in Australien nun blauer wäre als das in Kantabrien und der Kaffee in Astorga besser wäre als der in Estella bei der Herberge mit den blauen Fensterläden.
Es war kurz vor Ende der dritten Woche – und Herr K. nun sehr eilig unterwegs, hatte er in Santiago de Compostela doch einen Flug zu erwischen, weil drei Wochen nun einmal genug sein mussten, um zurück zu sich selbst zu finden und er ohnehin nicht mehr Jahresurlaub hatte, als ihm ein junger Mann am Wegrand begegnete. Der lief ohne Schuhe und war noch langsamer als Herr K. und schaute in die Luft. „Es ist schon spät“ rief er, als Herr K. an ihm vorüberging „und sonst niemand mehr auf dem Weg. Sag,“ meinte er „willst du nicht mit mir gehen zum Dorf?“ Herr K. besah sich den Mann. Aber der hatte weder recht wunde Füße noch war er alt, noch war ihm die Fahrradkette gerissen und Herr K. sah auf seine Uhr und sah, dass er weit, weit hinter seinem Zeitplan war und er musste aber doch noch die Pilgerurkunde in Santiago de Compostela abholen und seinen Flug erwischen und er beschied, dass er einfach keine Zeit hatte.
Also lief er weiter.
Er lief nun so schnell, trotz seines krummen Rückens und der schmerzenden Füße, dass er es tatsächlich nach Santiago de Compostela schaffte, seine Pilgerurkunde abholte und gleich darauf im Flieger nachhause saß.
Am darauffolgenden Montag fütterte er die Katze, ging in die Arbeit und trank abends ein Glas Rotwein. Er hatte nicht herausgefunden, ob das Meer in Australien blauer war als das Meer in Kantabrien und der Kaffee in Astorga besser war als der in Estella bei der Herberge mit den blauen Fensterläden.
Und irgendwie hatte er auch nicht zurück zu sich selbst gefunden.
Im darauffolgenden Sommer spürte er ein beunruhigendes Ziehen in der Herzgegend, als er sich am Morgen an seinem Schreibtisch im Büro setzte. Als der Notarzt kam, war Herr K. leider bereits tot. Es war aber ganz und gar nicht schlimm. Er saß nur plötzlich eben nicht mehr an seinem Schreibtisch im Büro sondern in einem langen Flur mit Wartebänken, auf denen allerlei Leute saßen. Der Flur hatte viele Türen links und rechts und an seinem Ende waren zwei. Die eine war ein bisschen dunkler, die andere ein bisschen heller. Nach einer Zeit kam ein Mann Herr K. sah, dass es der junge Mann war, der ihm auf dem Weg begegnet war. „Es ist schon spät“ rief der ihm zu „Und wohin willst du?“ fragte er Herrn K. Da Herr K. nun genug von Farbsymboliken verstand, wies er natürlich auf die ein bisschen hellere Tür. „Aha“ meinte der junge Mann „Und warum?“. Herr K. überlegte und antwortete dann einiges aus seinem Leben. Aber immer, wenn er etwas sagen wollte, unterbrach ihn einer der Leute auf den Wartebänken und rief: „Und ich noch viel mehr!“ und egal was er sagte, andere hatten es noch mehr gesagt, oder besser, oder länger. Schließlich rief Herr K. ganz verzweifelt: „Aber der Pilgerweg!“ und das musste doch etwas bedeuten! „Aha“ sagte der junge Mann wieder und es öffnete sich eine der Türen im Flur und heraus kam die alte Frau und der junge Mann fragte Herrn K.: „Und?“ und Herr K. rief: „Ihr habe ich geholfen!“ und es öffnete sich eine andere Tür und heraus kam der Mann mit dem Fahrrad und der junge Mann fragte Herrn K.: „Und?“ und Herr K. rief wieder „Ihm habe ich geholfen!“ und der junge Mann nickte. Da hob er eine Hand und der Flur war auf einmal ganz und gar leer und nur noch die beiden Türen an seinem Ende waren dort und der junge Mann fragte „Und?“ und wies auf sich selbst.
„Aber ich hatte doch keine Zeit mehr“ sagte Herr K. und trat auf die Türen zu