Rad!fahren.

5 Oktober, 2021

Mit dem Radfahren ist es so eine Sache. Wenn man nicht aufpasst, dann ist man, kaum hat man die Stützräder los und stürzt sich als furchtloser Toddler hinein in die zweirädrige Wunderwelt, schon süchtig.

Absoluter und uneinholbarer Vorteil vom Radfahren. Man ist immer draußen.

Einziger Nachteil: Man ist immer draußen.

Obwohl das eigentlich auch kein Nachteil ist. Wem schon mal der Eishagel kurz vorm Nordkap auf die brennenden Backen prasselte oder die Mittagssonne der nordspanischen Ebenen vor Santiago de Compostela aufs Helmhaupt schien, der weiß, dass das Wetter zumindest rückblickend selten mehr als eine Anekdote ist (außer Sandstürme. Da habe ich einen in der Mongolei mal erlebt – die sind kein Spaß).

Ein Hohelied auf das Radfahren. In all seinen Formen. Über die Jahre habe ich zweirädrig nun einiges erlebt.

Die erste Liebe: Das Rennrad fahren. WUSCH durch Postkartenlandschaften. Greetings from Draußen. Und das Brennen in den Oberschenkeln am Berg, das so sehr erinnert, dass wir Muskeln und Fleisch und Adern und Leben sind.

Dann das Mountainbiken. In medias res in eben diese Natur, die man per Rennrad bislang nur streifte. Fokus im Jetzt, Ein Lehrstück in Achtsamkeit (und Achtung! vor tückischen Wurzeln).

Dann das Randonneur, meine perlmuttschimmernde Schönheit. La Belle Blanche und ich da draußen auf den Straßen und Wegen dieser Welt. Auf alten Pilgerwegen radelnd durch Europa. Monatelang nur mein Rad, ich und das Zelt. Müßiggang des Reisenden, der Zeit hat, weil er sie sich nimmt. Nach meinem M.A. war es höchste Zeit gewesen für ein Draußen für Kopf und Körper.

Dann von Nürnberg zum Nordkap in 30 Tagen. Diesmal keine Zeit, sondern das Ziel im Fokus. Allein in der relativen Menschenleere Schwedens, Finnlands und Norwegens. Zeltleben. Radleben. Ganzleben.

Dann der Unfall. Erstmal Liegen, liegen, liegen. Dann Rollstuhl, dann Krücken. Dann langsam, langsam, langsam wieder schmerzhaft die 110 Grad Beugung im Bein erarbeiten, die notwendig sind, um treten zu können. Dann endlich wieder pedalieren. Endlich wieder draußen sein können. Dürfen.

Und dann? Wegen Komplikationen in der Schwangerschaft wieder liegen müssen. Dann geht alles doch gut. Und die beste Idee bislang: Den kleinen Sidekick und mich mobil machen. Wieder radfahren. Diesmal per Lastenrad. Das kann man sogar richtig in die Kurven legen (das Kind lacht).

Wieder draußen. Wieder Rad fahren. Radfahren PLUS.

Alle Wege führen nach Rom? Alle Wege führen zurück aufs Rad. Zweirad-Hohelied. Augapfel meiner Mobilität in Freiheit. Darn, I adore you. Danke, dass du mir die Welt zeigst. In all ihren wechselnden Farben und Formen. In allen Wetterlagen. Danke für den Wind im Haar und all die Zeit für Selbst- und Fremdgedanken. Danke, dass du meinen Sohn in den Schlaf schaukelst. Danke für die Abenteuer gestern, heute und hoffentlich morgen und überüberübermorgen.

Ad infinitum. Oder zumindest bis dein oder mein altersschwacher Rahmen bricht.