Mut zum Missverständnis: Textuelle Diskursumsetzungen in Spielen
21 März, 2018
Wenn es um in Texten ausgedrückte Diskurse in Spielen geht, sind die Regeln ziemlich klar: In First-Person-Shootern scrollen wir uns nicht durch ellenlange Textfenster à la Planescape Torment. Und in textlastigen Adventures finden wir keine abgehackten Textfragmente wie in Biowares Dialogue Wheel. Wie reden wir in Spielen eigentlich miteinander? Genauer: Welche Diskursmöglichkeiten gibt uns ein Spiel und wie genreabhängig ist das? Und: Geht es auch anders?
Wir reden anders, je nachdem, welches Spiel wir spielen. Genauer gesagt: Je nach Genre geben uns Spiele sehr unterschiedliche textuelle Diskursoptionen an die Hand. Textuell beschränkt sich hier zunächst mal auf alle Gesprächsoptionen, die wir in Spielen haben und die durch Text ausgedrückt werden. Anschaulich: Ein NPC spricht uns an. Ist seine Aussage beendet, schwenkt die Kamera auf unseren Spielecharakter und es ploppt auf dem Bildschirm irgendeine Art von Textauswahl auf, die uns verschiedene Möglichkeiten gibt, mit dem NPC nun zu interagieren beziehungsweise auf seine Aussage zu antworten. Die Bandbreite an Umsetzungen reicht dabei von scrollbaren Textkästen wie in klassischen Rollenspielen (Baldur’s Gate– und Icewind Dale-Reihen, Planescape Torment oder auch Pillars of Eternity als Quasi-Retro-Neuauflage der alten Black Isle-Spiele), an deren Ende aus ausformulierten Sätzen gewählt werden kann über Adventure-typische Dialoge wie in der Monkey Island-Reihe oder Daedalic-Produktionen, deren Antwortmöglichkeiten auch meist ausformulierte Sätze bereitstellen, bis hin zum minimalistischen Dialograd wie in vielen Bioware-Spielen.
Die grobe Tendenz: Je nach Genre und Tempo des Spielflusses unterscheiden sich die Umsetzungen textueller Diskursoptionen mitunter sehr. Während diese in Adventures oder in Rollenspielen mit ‚Pausierungs‘-Möglichkeiten oft in vollständigen Sätzen ausformuliert sind, beschränkt sich die Umsetzung der Dialogauswahl in Spielen mit schnellerem Grundtempo oft auf Textfragmente (Fallout 4, Mass Effect-Reihe) oder es besteht sogar keinerlei Möglichkeit, als Spieler aktiv in den Dialog einzugreifen (Tomb Raider-Reihe, Max Payne-Reihe, BioShock-Reihe). Die verkürzte Darstellung soll wohl die Dynamik des Spielflusses aufrechterhalten. Ellenlange Textfelder sind zu schwerfällig und brechen die Involvierung des Spielers im Spiel. Wir müssen innehalten, den Controller weglegen und lesen. Aus Sicht der Spieleindustrie gilt es, genau dies zu verhindern. Wir sollen im Spiel bleiben und nicht durch lange Lesepassagen, die uns womöglich langweilen, aus dem unmittelbaren Spielgeschehen herausgerissen werden.
Das Problem: Die textuelle Fragmentierung der Dialogumsetzung führt potentiell zum genauen Gegenteil, nämlich zur Entfremdung des Spielers vom Spiel. Anstatt die Involvierung aufrechtzuerhalten, kommt es zu Brüchen. Nehmen wir einmal Fallout 4 und Dragon Age: Inquisition als Beispiele. In beiden Spielen führt die verkürzte Umsetzung des Dialogsystems auf bloße Schlagworte zu kommunikativen Missverständnissen zwischen Spieler und Spiel. Wir entscheiden uns für eine Diskursmöglichkeit, die aber nur eine Paraphrase dessen ist, was unsere Spielfigur dann tatsächlich sagt. Textuelles Schlagwort und tatsächliche Sprachausgabe weichen mitunter stark voneinander ab. Ich wähle das Schlagwort A, weil ich es als friedliche Dialogoption interpretiere – schnell stellt sich aber heraus, dass A die aggressive Option war und flugs stehe ich in einem Kampf, den ich als Spieler eben vermeiden wollte. Das Spiel missversteht mich und ich das Spiel. Diese Diskrepanz zwischen textueller Umsetzung der Dialogoptionen und faktischer Aussage der Spielfigur führt zu ebenjener mangelnden Involvierung, die durch die Verknappung des Dialogsystems doch vermieden werden sollte.
Das Problem ist, dass wir das Spiel nicht genug kennen. Hier gilt ähnliches wie im kommunikativen Miteinander zwischen Menschen. Je besser wir mit einem Menschen, einer Kultur etcetera vertraut sind, desto mehr Hintergrundwissen haben wir, desto weniger direkte Informationen muss uns das Gegenüber im Gespräch vermitteln, damit wir aus dessen Aussage Sinn konstruieren und entsprechend adäquate Antwortmöglichkeiten bilden können. Wir sind also in der Lage, viel Aussage in wenigen Worten zu verpacken. Fehlt uns dieses mit der Vertrautheit kommende Wissen, brauchen wir notwendigerweise mehr direkte Informationen, das heißt Worte, um den korrekten Sinn der Aussage unseres Gegenübers erfassen zu können. Fehlen diese, wie im Fall der verschlagworteten Diskursoptionen, so reden das Spiel und wir also kurzerhand aneinander vorbei.
Sowohl die Entwickler selbst als auch die Spielecommunity haben das Problem erkannt und versuchen sich an verschiedenen Lösungsansätzen. Der Full Dialogue Interface-Mod zu Fallout 4 holt etwa das klassische Adventure-Modell zurück: Anstatt der paraphrasierten Schlagworte im Dialograd werden die Antwortmöglichkeiten untereinander in genau den Aussagen aufgelistet, die die Spielfigur dann auch wirklich von sich gibt. Das verhindert kommunikative Missverständnisse zwischen Spiel und Spieler, indem es uns die für eine erfolgreiche Kommunikation benötigten Informationen wieder zur Verfügung stellt, die durch die Fragmentierung verloren gingen.
Eine andere Möglichkeit, zumindest die grundlegende Ausrichtung der verschiedenen Dialogoptionen erkennbar zu machen, ohne auf das Dialograd und dessen Schlagworte verzichten zu müssen ist die Nutzung optischer Marker wie in Dragon Age: Inquisition. Da der Text so verkürzt ist, dass das in ihm Ausgedrückte nicht mehr ausreicht, um die von uns benötigten Informationen zu transportieren, behilft sich das Spiel hier einfach mit zusätzlichen visuellen Hilfsmitteln. Unterschiedliche Icons signalisieren uns, in welche Richtung die jeweilige Antwortmöglichkeit geht. Ein Herz deutet auf eine friedliche oder romantische Option hin, eine Faust auf die aggressive Lösung eines Konflikts. Ohne uns also die direkte Information zu geben, welche faktische Aussage bei der Wahl eines bestimmten Dialogschlagwortes nun aus dem virtuellen Mund unserer Spielfigur kommen wird, gibt uns das Spiel hier emotionale Grundstimmungen an die Hand, die unser Handeln steuern sollen. Fühlen wir uns als Spieler in einem Dialog angegriffen, wählen wir die aggressive Option. Sind wir hingegen von unserem Gegenüber angetan, wählen wir das Herz. Diese Lösung fokussiert gewissermaßen auf die Logik der Bauchentscheidung: Wie fühlen wir uns als Spieler in einer Situation, einem Gespräch, einer Szenerie? Was lösen die Aussagen unseres Gesprächspartners auf emotionaler Ebene bei uns aus und wie verhalten wir uns dementsprechend?
Dieser Ansatz hält uns als Spieler zwar emotional im Spiel und dadurch in der Involvierung, er kann jedoch das Problem weiterhin nicht lösen, dass die faktische Aussage unserer Spielfigur mitunter nicht dem entspricht, was wir unter den vorliegenden Umständen mit der jeweiligen gewählten Emotion ausdrücken wollen. Das liegt vor allem auch daran, dass er die Gradualität von Emotionen vollständig außen vor lässt. Nehmen wir an, wir sind in einer Situation, in der uns ein Gesprächspartner im Spiel schwer beleidigt. Wir als Spieler sind emotional betroffen und wollen entsprechend reagieren – die Faust muss also her. Aber die nun auf die von uns gewählte ‚aggressive‘ Dialogoption unserer Spielfigur folgende faktische sprachliche Reaktion überrascht uns durch ihre Zurückhaltung. Oder umgekehrt: Plötzlich reagiert unsere Spielfigur völlig übertrieben. Das Hinzufügen von optischen Markern kann die fragmentierte Information der Schlagworte im Dialograd nur bedingt kompensieren. Im schlimmsten Fall entfremden wir uns von unserer Spielfigur und damit letztlich von unserem Spieler-Ich. Da heißt es dann endgültig GAME OVER für die Involvierung.
Doch wäre das so schlimm? Anders gefragt: Wäre es nicht interessant, eben solche Brüche bewusst zu provozieren? Etwa wie im Indie-Spiel The Stanley Parable, in der wir dem als braver Büroangestellter gegen die Diktatur des Erzählers anlaufen und letztlich gegen die Logik des Systems, das uns erzählt, Stanley, also wir, wären an diesem seltsamen Morgen im Büro nach links gelaufen – wir als Spieler entscheiden uns aber anders und laufen in die andere Richtung. Sicherlich, die Ironie des Spiels liegt darin, dass es selbst da innerhalb seiner programmierten Logik gefangen bleibt, wo es Ausbrüche aus und Brüche mit dem System, das heißt mit dem Spiel als programmiertem Objekt, suggeriert. Wir können über das Gegebene nicht hinaus. Alle Grenzüberschreitung in Spielen geschieht immer noch innerhalb der Grenzen, die uns das Spiel vorgibt und negiert sich damit selbst. Aber: Einen Versuch wäre es wert. Insofern ist die – ungewollte – Irritation, die Spiele wie Dragon Age: Inquisition oder Fallout 4 durch ihr missverständliches Kommunikationssystem verursachen, vielleicht genau richtig und wichtig.
Der Text ist erstmalig am 9. März 2018 auf languageatplay.net veröffentlicht worden.