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Moirai

Usually, our actions in games don´t really matter.
That is, of course they do but only in the very narrow scope of the game logic itself. The game asks us to decide whether to do A or B and we do as told and end up with some consequence. But this consequence also stays within the boundaries of the game world. To put it simple: We kill a NPC and we end up with the consequence – a dead NPC. That´s pretty much it.
Of course, these may have various consequences within the game world, its narration or its plot. It does affect our player character.
But it does not affect us as players.
Obviously, the same does not count for games where there are „real“ people involved, such as multiplayer games. We don´t talk to dead bags of algorithmic meat (=NPCs) then but to real people, although they only transcend the screen as heaps of pixel. And our deeds affect others players. If we kill and loot them, well, we killed and looted someone   – albeit only a digital token of that person.  This may have consequences  – our victim may forgive us or hate us or hunger for revenge. The consequences of our deeds are not scripted, but rather human – yet the scope of the possible reractions still depends on the possibilities of actions the game grants us. But because our reactions towards each other are only determined by the mechanic rules of the game but not by the confinedness of any scripted NPC-morality, new questions arise:
How do notions like guilt and responsibility come into play in games where we interact with other people?
Or: Do they come into play at all?
And most importantly: Are we to judge or evaluate other player´s deeds?
These are exactly the questions, the indie-game Moirai hits us in the face with.
It is not possible to explain the game without giving away its central twist. So I am bound to keep my mouth shut/my fingers from tiping any further.
Just go out. Now. Get it – it is free!
And judge for yourself.


Moirai, Chris Johnson & Brad Barrett & John Oestmann: FREE on Steam

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Capsule

20.000 Meilen unter dem Meer.
So zumindest fühlt es sich an.
Das Piepen der Sauerstoffanzeige links oben im Bild. Rechts der graue Balken des Treibstoffreglers.
Und dazwischen – das kalte, dunkle Meer.20170316125606_1Es füllt den gesamten Bildschirm. Abstrahiert als Radaranzeige der Unterwasserkapsel, in der ich eingeschlossen bin.  Als kleiner Punkt in der nicht enden wollenden Tiefe steuere ich in eine Richtung. Auf einen unbekannten Punkt zu, den meine Geräte geortet haben. Wo ist oben, wo ist unten? Es ist wie unter einer Lawine begraben zu werden. Ich steuere willkürlich in eine Richtung – Die Distanzanzeige springt nach oben – also in die andere Richtung. Aber immer wieder verliere ich die Orientierung. Alles sieht gleich aus auf der verkratzten Radaranzeige.
Wo bin ich jetzt?20170316125825_1Fast spüre ich, wie das Wasser draußen dumpf gegen die Bordwand der Tauchkapsel drückt. Gerne würde ich mich umsehen, mich einfach einen Augenblick lang abwenden vom Piepen und Blinken der Radaranzeige und dem stetig schrumpfenden Sauerstoff- und Treibstoffbalken. Aber ich kann mich nicht umdrehen. Das Spiel versagt mir den Trost von 3D. Ich muss weiter hinstarren, immerzu, auf die eingedellte Radaranzeige.
Natürlich, ich kann das Spiel verlassen.
Aber im Spiel gibt es keinen Ausweg.

Ich bin eingeschlossen in einer winzigen Tauchkapsel, mit schwindenden Luft- und Treibstoffressourcen. 20.000 Meilen unter dem Meer. Manchmal finde ich einen Sauerstofftank, manchmal ein wenig Treibstoff, das bringt mich dann wieder ein- oder zweihundert Meter weiter. Behalte die Distanzanzeige im Auge! Steuere ich in die richtige Richtung? Bin ich schon verloren?20170316125739_1Blau, blau ist alles und keine Hilfe in Sicht.

Ich verliere Sauerstoff – viel zu schnell. Die Anzeige blinkt. Röcheln. Das Keuchen ist so nah. Ich bin es, die Spielfigur. Es hört sich so nah an, als würde sie mir direkt ins Ohr flüstern Ich bekomme keine Luft mehr. Ich bekomme Angst, sehe mich verzweifelt um auf der Radaranzeige. Der Sauerstoffbalken ist gleich auf Null.

20170316125901_1Da!
Ein Wassertank.
Ich, die Spielfigur, wir, atmen einmal laut auf.
Die Klaustrophobie spielt mit. Sie sitzt auf meinem Bildschirm und grinst mich an.

Ich bin ganz und gar unter Wasser. Steuere Schritt für Schritt, Meter um Meter Richtung Hoffnung. Richtung Tageslicht. Richtung Wasseroberfläche. Ich bin Kapitän Nemo auf einem Quadratmeter. Und die Luft wird knapp. Aber ich spiele weiter. Ich will an das Ende kommen, weil das Ende – zumindest denke ich das – nur das Ende des Meeres sein kann.  Irgendwo muss es aufhören. Ich sehne mich nach den Geräuschen oberhalb – der Wind in den Bäumen, das Zwitschern der Vögel und wie sich die Sonne anfühlt. Ich muss das Spiel beenden, um der Enge meiner Tauchkapsel entkommen zu können, um diese Tiefe zu verlassen, die immer still und immer laut ist. Einfach abbrechen wäre nicht dasselbe. Ich muss das Meer verlassen, um das Spiel verlassen zu können. Ich will das Spiel besiegen. Die klaustrophobische Enge meiner Tauchkapsel, das würgende Atmen meiner Spielfigur, das Piepen der Radaranzeige lässt das reale Zimmer um mich schrumpfen, bis es ebenso beengend scheint.

Beunruhigende Immersion ganz ohne VR, ganz ohne 3D.
Warum will ich das spielen?
Weil ich sicher bin: Wenn ich am Ende des Meeres angelangt bin, wenn ich das Spiel besiegt habe, kann ich umso mehr atmen.


Capsule, Adam Saltsman & Robin Arnott 2012: € 4,99  auf Steam

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Plug & Play

It is nonsensical. It is way too short for a game. It does not have any serious game play.

And it is just plain weird.
Yet, it somehow makes a lot of sense.
In Plug & Play, we control little plug people. Abstract bodies with a plug instead of a head. Well, some have a plug instead of their head. Others have a socket there. We move these plug/socket people around on an empty screen. Not doing anything meaningful, really. We just find fitting sockets for our plug. Sometimes this means for one plug person to plug in his or her plug (At this point, I really do refuse to acknowledge any gender allegory here!) into another one´s socket. If there is no socket at the head, there is an alternative one available – and now guess where. It´s the butt, alright. Which by the way gives a completely new meaning to the term „butt plug“. It is all over after about five minutes.
Really the only purpose of the game is for the plugs to find their sockets and vice versa.

Naturally, this might as well be extremely meaningful.20170222215958_1Especially when the only dialogue, which takes place in the game consists of a few lines of which one is:20170222215904_1And they do! Touching.20170222215948_1This might or might not be meaningful.

This might be simply a painfully short game with elaborately composed light-dark-imagery, which aims to be aesthetically valuable but is actually about…well…butt plugging.
But it might as well be about the very essence of love, captured in a strikingly simple imagery. Whatever Plug & Play is, trying to find the socket for one´s plug is oddly intuitive. Fun.
And sometimes painful and difficult. Just like love.
Or butt plugging, for that matter.


Plug & Play, Etter Studios 2015: € 2,99  auf Steam

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GASTSPIELER: Größe ist nicht alles. Die Open World und ihre Problematik

Das Prinzip der Open World, wie es uns in letzter Zeit auf Schritt und Tritt begegnet, hat ein entscheidendes Merkmal. Die Verbindung zwischen offener Spielwelt und Banalität der in ihr wartenden A…
Source: GASTSPIELER: Größe ist nicht alles. Die Open World und ihre Problematik

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Online Wedding: Bis dass der Logout uns scheidet?

Pressemitteilung von Gamereactor am 17. Oktober 2016: „Niti“ und „Eli“ vom Clan „Midgard“ im kooperativen free2play-Shooter Warframe heiraten online![1]

Na und?

möchte man sich denken. Was hat ein Third-Person Online-Shooter mit dem Bund des Lebens zu tun? In den gemächlicheren, sozial weitaus kooperativeren Gefilden der MMORPGs mag das ja in den Spielkontext passen – aber in einem Shooter? Aber: Auf facebook gefällt geschlagenen 51.630 Personen das Vorhaben. Die Liste der über die Hochzeit berichtenden Plattformen ist lang, wer mag kann sich die Zeremonie auf youtube ansehen.[2] Und Entwickler Digital Extremes streamt das Ganze auch noch live!

Zeit also, sich einmal genauer mit dem Phänomen Online Wedding zu befassen.

Ferntrauung: Soweit nichts Neues

Die physische Anwesenheit des Brautpaares ist in den meisten Rechtsordnungen Voraussetzung für den Vollzug der Eheschließung. In § 1311 BGB heißt es: „Die Eheschließenden müssen die Erklärungen persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit [abgeben]“.

Das war aber längst nicht immer so. Gerade in adeligen Kreisen war die Handschuhehe – also die Eheschließung in Abwesenheit – bis weit ins 18. Jahrhundert hinein üblich. Einleuchtend, da Ehen aus politischen Überlegungen hin schneller geschlossen wurden als es dauerte, bis die glückliche Braut ihr standesgemäßes Gefolge zusammengeklaubt hatte, endlich in der Kutsche saß und dann noch die Reise mit durchschnittlich vier PS zurückgelegt hatte. Während Braut oder Bräutigam also noch im Vierspänner irgendwo über Feldwege schaukelten, wurden sie schon verheiratet.

Keine Anwesenheitspflicht

Heute besitzt die Ehe in Deutschland den dem romantischen Anlass so unpassenden Status des „personenrechtlichen Rechtsgeschäft“. Kurz: Bist du bei deiner eigenen Hochzeit nicht da, kannst du nicht heiraten. Ausnahmen gab es aber immer wieder. Gerade im Militär kommt es oft zu Ferntrauungen. Für die „Stahlhelmtrauung“ im zweiten Weltkrieg war eine vom Vorgesetzten beglaubigte, schriftliche Erklärung ausreichend, um eine Ferntrauung vorzunehmen. In Italien, Kolumbien, Mazedonien, Mexiko, Polen, Portugal, Spanien sowie in einigen US-amerikanischen Bundesstaaten und im Recht einiger islamischer Staaten ist die Fernhochzeit auch heute zulässig. Eine Praxis, die vor allem im US-amerikanischen Militär rege genutzt wird: 40% der Eheschließungen via Internet betrifft Militärangehörige. Aber auch zivile Liebespaare trauen sich zunehmend online. In den USA sind es insgesamt ca. 500 digitale Eheschließungen im Jahr – Tendenz steigend.

Die Proxy Marriage als Antwort auf das Global Village

Kein Wunder. Zwar wächst die Welt digital zusammen. Die faktische Reisedistanz zwischen einer Braut aus Texas und ihrem Bräutigam in Dhaka bleibt aber weiterhin bestehen.

Die Proxy Marriage ist die naheliegende Lösung im Global Village.

Das ist der eine Grund, warum „Niti“ und „Eli“ sich für die Online-Hochzeit entschieden haben: „[We] have friends from around the world. We had discussed ways of trying to get all of them there for our wedding, and came to the conclusion that it was impossible, we have friends in Denmark, Japan, America, Canada, Germany and England… it just wasn’t going to be possible to get everyone in one place“[3]. Das Problem der Distanz. Die Ferntrauung als Lösung. Dieser Ansatz ist so alt wie die blaublütige Heiratspolitik europäischer Adelsgeschlechter.

Mein Avatar und ich

Der andere Grund aber ist ein ganz anderer. Das Warframe-Brautpaar beschreibt ihn so: „We felt that our online persona really is us, it´s how we interact with the rest of the world […]. It [the online wedding] allows us to have our wedding in a place we call home“[4].

Es sind also nicht nur praktische Gründe, die für die Ferntrauung sprechen.

Es sind emotionale.

Die Identität der realen Personen „Niti“ und „Eli“ ist untrennbar mit der Identität ihrer Spielfiguren verbunden. Das Warframe-Paar gibt sich nicht nur virtuell das Ja-Wort, sondern auch real.

Das ist ein großer Unterschied zu vielen Online-Hochzeiten, die ausschließlich ingame vollzogen werden. Die Tradition hier ist lang: Ultima Online stellt ganze Hochzeitsdekorationen und –Outfits, die Kirchen in RuneScape sind beliebte Heiratslocations und in Maplestory muss das Brautpaar zunächst eine Echtgeld-Gebühr zahlen und sich dann in einem Quest auf die Suche nach dem Ehering machen, bevor eine Hochzeit möglich ist.

Viele virtuelle Ehepaare kennen nicht einmal den Namen des Anderen. Die Hochzeit ist ein von der Welt außerhalb des Spiels losgelöster Akt. Im Spiel bin ich verheiratet. „Draußen“ nicht. Zwischen Spiel und Realität liegt eine Grenze. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Logiken innerhalb des jeweiligen Systems nicht kohärent sind. Sie sind schlicht unabhängig voneinander: Ich kann mich in DayZ mit vollstem Einsatz als skrupelloser, zweckorientierter Killer inszenieren und entsprechend handeln und dennoch im realen Alltag moralisch einwandfreie Entscheidungen treffen. Das widerspricht sich nicht. Ich kann im Spiel heiraten, ohne dass das auf mein reales Leben irgendeine Auswirkung hat. Das Spiel ist ein Spiel ist ein Spiel. Und so weiter.

Wer will schon die Realität?

Aber genau das macht die Hochzeit von „Niti“ und „Eli“ bemerkenswert.

Die virtuelle Identität ist mit der Identität außerhalb des Spiels verschmolzen. Im Spiel finden die Akteure Ausdrucks- und Verwirklichungsmöglichkeiten, die sie in der realen Welt nicht haben.

Mit der Online-Hochzeit kann nicht nur das alte Problem der Distanz überwunden werden, sondern auch die individuelle Distanz zur faktischen Realität mit all ihren Unzulänglichkeiten. Krankheit, Hässlichkeit, Über- oder Untergewicht – alles kein Problem. Die Hochzeitsgäste in den heiligen (Hochzeits)hallen von Midgard an diesem 17. Oktober stecken allesamt in schimmernden Rüstungen, überall muskulös-geschmeidige Glieder. Kein Gramm Fett, kein bisschen Hässlichkeit. Auch kein betrunkener Onkel auf dieser Hochzeit, der irgendwann peinliche Geschichten erzählt. Nur Regor, oder eine Horde Orks im Falle von Ultima Online, die die Hochzeit crashen, aber natürlich heroisch zurückgeschlagen werden. Und die silberne Halle des Clans Midgard ist auch viel sakraler als die Wirklichkeit jedes städtischen Standesamtes, auf dem sich immer irgendjemand zu laut schnäuzen muss – und man am Ende über sein eigenes Kleid stolpert vor Aufregung. Die Realität kann oft weniger Sakralität bieten als jede durchschnittliche Festhalle von Skyrims Nordfesten bis zum Tempel von Helm in Baldur´s Gate II. K

Mein virtuelles Ich ist Ich!

Kein Wunder also, dass der virtuelle Charakter dem eigenen (Wunsch) Selbstbild mehr entspricht als der Typ jeden Morgen im Spiegel. Und ist nicht unser Online-Charakter viel mehr so, wie wir eigentlich ja sind, oder zumindest ein Teil von uns? Gewandter, geschickter, einnehmender. Einer – der nie stolpert. Mit dem wir Abenteuer erleben, anstatt zur Norma um die Ecke zu gehen und Dosenwürstchen zu kaufen? Unsere virtuelle Identität scheint oft erstrebenswerter als unsere reale. Kein Wunder also, dass wir spielen. Kein Wunder auch, dass „Niti“ und „Eli“ sich in der Form das Ja-Wort geben wollen, die sie ihrer Meinung nach am besten repräsentiert. In der sie sich am besten ausgedrückt fühlen. Als Spieler. Aber auch als Menschen: „Now, not only can people be there who normally couldn´t, but also they can be there in a form that allows them to express who they fell they are, which makes the whole event much more personal for us than everyone turning up in suits and ties“[5]. Mein virtuelles Ich ist Ich! Die virtuelle Identität ist mit der Identität außerhalb des Spiels verschmolzen.

Die virtuelle Trauung ist kein bloßer Akt im Spiel mehr, sondern die Erweiterung der Realität auf das Spiel selbst.

Rettet das Spiel vor der Realität!

Welche Auswirkungen hat das auf den Status von Handlungen in Spielen? Es gibt dem Spiel eine völlig neue Verbindlichkeit und Ernsthaftigkeit. Wenn mein Ich außerhalb und mein Ich im Spiel eins sind, kann ich nicht mehr einfach durch Chernarus rennen und Leuten auflauern aber außerhalb moralisch einwandfrei handeln. Es kommt zum Widerspruch zwischen meiner virtuellen und realen Identität eben deshalb, weil sie plötzlich identisch sein müssten, damit ich keine Kohärenzprobleme mit meinem eigenen Selbst bekomme. Kurz gesagt: Wenn ich im Spiel meinen Ehepartner betrüge, bin ich zunächst schlicht unmoralisch im Spiel.

Wenn aber das Spiel zu sozial verbindlichem Gebiet wird und mein virtuelles Ich und mein reales Ich nicht mehr zu trennen sind, bin ich nicht mehr nur im Spiel unmoralisch. Ich bin dann unmoralisch per se. Punkt.

Games sind eine einzigartige Möglichkeit des Selbstausdrucks. Ja. Aber das sind sie eben deshalb, weil sie außerhalb realer Verpflichtungen stehen. Weil wir spielen können, ausprobieren. Auch Böse sein. Falsche Entscheidungen treffen. Unmoralisch eben. Weil unsere Identitätsmöglichkeiten im Spiel zahllos sind. Genau aus diesem Grund findet eine Hochzeit wie die von „Niti“ und „Eli“ auch statt. Weil sie in der Welt von Warframe eine Identität gefunden haben, durch die sie sich ausgedrückt fühlen. Nun wird auf das virtuelle Spiel ein der Realität entlehnter Mechanismus gepackt – die Heirat als urtraditionelles Ritual. Und genau dadurch wird das Spiel eingegrenzt. Das Spiel lebt durch die Abgrenzung von der Realität. Indem diese Grenze verschwimmt, kommt in das Game eine Ernsthaftigkeit, die weniger Spielraum lässt für das Game selbst. Ein „historischer Moment für das Game“ meint eine Kommentatorin der Hochzeitszeremonie. Weil das Spiel durch die Hochzeit nicht mehr nur als Spiel wahrgenommen wird sondern als alternativer sozialer Lebensraum, der das Spiel hochwertet.

Ich meine, genau das Gegenteil passiert: Das Spiel wird entwertet, weil die Realität es plötzlich für sich in Anspruch nimmt. Wir heiraten online, weil wir die Realität nicht wollen. Weil wir nicht stolpern wollen.

Warum bringen wir das Stolpern jetzt selbst ins Spiel?


[1] http://www.gamereactor.de/News/355543/Heute+Abend+grosse+Hochzeit+in+Warframe.
[2] https://www.youtube.com/watch?v=zuwDD4I_v1M.
[3] http://thegg.net/hot-news/you-are-invited-to-a-warframe-wedding.
[4] ebda.
[5] ebda.

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Machinarium. The Good Robot

 
Wer Point&Click Adventures der Marke „Gesprächiger Typ rettet Welt und löst dabei absurde Rätsel“ bevorzugt, ist bei Machinarium falsch. Der Protagonist des Spiels, der etwas mickrig geratene Roboter Josef, hat weder den schelmischen Charme eines Gybrush Threepwood noch eines Rufus aus Deponia. Ja, er kann nicht einmal sprechen. Immerhin, die noble Aufgabe der Weltrettung kommt uns auch in Machinarium zu. Aber von Anfang an.

Neues vom Schrottplatz

Das Intro wirft uns im wahrsten Sinne des Wortes in media res in die Handlung. Über einer postapokalyptisch anmutenden Stadt erhebt sich ein bienenartiges Maschinenwesen, das uns samt diversem Schrott über besagtem Schrottplatz ausspeit. Bevor wir nun in unser Abenteuer starten können, müssen wir uns zunächst sammeln. Wörtlich gemeint. Josefs Teile liegen im Umkreis verteilt und wir müssen diese wieder zusammenbringen. Der Witz dabei ist, dass Josef einen sehr begrenzten Aktionsradius hat. Wir können nur mit Gegenständen und Charakteren in unserer direkten Umgebung interagieren. Zumindest aber kann Josef seinen Torso flexibel ein- oder ausfahren. Praktisch, wenn man an Gegenstände gelangen muss, für die Josef in seiner normalen Größe einfach zu klein ist, oder wenn man durch Öffnungen kriechen muss, für die er eigentlich wiederum zu groß ist.
Nachdem wir also unsere Tassen alle wieder im Schrank haben, geht es los zurück in die Stadt, aus der wir eben so unsanft entfernt wurden. Natürlich kommen wir aber nicht einfach so hinein. Der vor dem Stadttor positionierte Polizist gibt uns mit einem grunzenden Kopfschütteln und einer über ihm erscheinenden Sprechblase, in der ein durchgestrichener Josef erscheint, zu verstehen, dass nur Polizeiroboter Durchgang haben. Dialoge laufen so ausschließlich über Sprechblasen, in denen Bilder statt Text erscheinen.
Die Lösung liegt nahe: Wir müssen zum Polizeiroboter werden! Also zaubern wir aus einem kaputten Leitkegel, den wir in blaue Farbe tauchen, und der Glühbirne aus der Straßenlaterne über uns kurzerhand einen täuschend echt aussehenden Polizeihut. Zumindest täuschend genug für den wachhabenden Polizisten, der uns daraufhin in die Stadt lässt.

Josef und die bösen Jungs

Es beginnt eine Odyssee durch den tristen Moloch der Maschinenstadt, auf der wir die gemeinen Machenschaften einer dreiköpfigen Gangstergruppe aufdecken, die die Bewohner der Stadt böswillig quält. Als wir dann noch entdecken, dass die Pläne der Bösewichte viel weiter reichen und die ganze Stadt in Gefahr ist, ist es an uns, das zu verhindern.
Der Plot bietet insofern nichts Neues. Die Rettung der Welt bzw. das Abwenden von drohender Gefahr ist sicher eines der meist bemühten Themen der Spielgeschichte. Allerdings passt der drohende Untergang gut in den ästhetischen Kontext des Spiels. Die Stadt, und auch die umliegende Welt, scheint kaputt, bis auf die Grundfesten verrostet. Wen wundert es, dass eine solche Welt bösartige Schurken hervorbringt, die schlicht die Zerstörung als solche zu feiern scheinen? Ein Motiv jedenfalls scheinen sie nicht zu haben, sondern einfach nur Spaß daran. Umso tröstlicher wirkt unsere Spielfigur: Der kleine Roboter Josef. Er scheint tatsächlich mit zu leiden, wenn ihm die Bewohner der Stadt in animierten Sprechblasen bildhaft schildern, was die Gangster ihnen angetan haben. Ein empathisches Wesen – noch dazu ein Roboter – in einer solchen Welt, muss etwas Besonderes sein. So folgt man gerne dem Plot, auch wenn er vorhersehbar ist. Einfach nur, um den bösen Jungs eins auszuwischen. Auch wenn man der unwahrscheinlichste Typ – äh, Roboter – dafür ist. Die klassische Underdog-Geschichte eben.

Das Spiel im Spiel

Interessant an Machinarium ist die Spielmechanik der Rätsel. Wie in vielen anderen Spielen gibt es in Machinarium Minispiele, die die Haupträtsel ergänzen und mal mehr mal weniger innovativ/nervig sind. Legendär das Banjo-Duell in Lucas Arts Fluch von Monkey Island. Nervig das Taubenschlagraten in Daedalic Entertainments Anna´s Quest. Gemeinsam ist dem Genre Minispiel im Spiel aber stets, dass sie die Haupthandlung ergänzen. Anders in Machinarium. Hier bestimmen die Minispiele das Geschehen. Das geht so weit, dass einem Josefs Rätselreise durch die Maschinenstadt manchmal nur wie die Rahmenhandlung für eine exzessive Abfolge von Minispielen erscheint. Es gibt in Machinarium nämlich nicht einen Mechanismus, der sich benutzen ließe, ohne vorher über ein Minispiel aktiviert worden zu sein. Seien es Türen, Aufzüge, Diaapparate oder Leitungssysteme, die grantige Robotereulen unter Strom setzen (!). Im Kontext der Spielwelt macht das natürlich Sinn: In einer Maschinenstadt läuft eben alles über Maschinen, die wiederum über maschinelle Mechanismen aktiviert werden müssen. Nachdem man aber vor der x-ten Tür stand, die wieder nur über ein Minispiel geöffnet werden kann, wünscht man sich aber die gute alte Holztür zurück, die „halt einfach aufgeht“ oder die meinetwegen ganz analog mit Brettern zugenagelt ist und hey, haben wir nicht eine Axt im Inventar? Vor allem, da die Rätsel abseits der Minispiel dürftig gesät sind. Wir haben kaum Gegenstände im Inventar und wenn, dann ist es oftmals zu naheliegend, was wir damit anfangen sollen. So träumt ein Mitgefangener in unserer Zelle, in der wir zu Beginn des Spiels landen, davon, noch einmal eine Zigarette rauchen zu können. In der Zelle selbst finden wir Papier und im Abwasserrohr grünen Schlamm, den wir über der Glühbirne in der Zelle trocknen und dem armen Kerl daraus eine schiefe Kippe bauen. Lange rätseln muss man hierfür nicht, zumal die Handlungsmöglichkeiten – wir können uns ja nur innerhalb der winzigen Zelle bewegen – begrenzt sind. Es gibt also zwar klassische Kombinationsrätsel in Machinarium. Sie bilden aber nur den Rahmen für die Minispiele. Das ist schade, zumal die Kulisse der Maschinenwelt ja allerhand Potential hergeben würde für wilde Adventure-Basteleien.

Ein Spiel wie ein Zauberwürfel

Die Minispiele selbst sind dafür umso ausgefeilter. Es sind allesamt Logikrätsel der Marke „Da raucht der Schädel“.
So müssen wir etwa in einem Minispiel ein Leitungssystem manipulieren, um die Bösewichte unter Wasser zu setzen. Das Leitungssystem ist dabei natürlich das Gegenteil von dem geradlinigen, wenig komplexen System in unserem eigenen Keller: Es ist verwinkelt, verdreht, unübersichtlich und hat einen Haufen Verbindungsstellen, die erstmal richtig gesetzt werden müssen.
In einem anderen Minispiel müssen wir auf einem Quadrat mit 3×3 Feldern einen blauen Punkt von einem Quadrat zu einem bestimmten anderen Quadrat befördern, ohne dass wir den Punkt selbst dabei bewegen können. Nur mithilfe dreier Formen, die selbst jeweils ein Quadrat einnehmen, zu jeweils einer Seite hin offen sind und an dieser Seite den blauen Punkt aufnehmen und in eine bestimmte Richtung befördern können, dabei aber selbst noch ineinander verschachtelt werden müssen, können wir das Ziel erreichen. Nichts verstanden? Kein Wunder. Grübelnahrung vom Feinsten.

Lösung all inclusive

Wer bei all diesen intellektuellen Herausforderungen in eine Sackgasse gerät, kann das im Spiel angedockte Lösungsbuch zu Rate ziehen. Gratis gibt es bei Bedarf außerdem einmal pro Level einen Hinweis – natürlich in Form einer Gedankenblase. Wer dann immer noch im Dunkeln tappt, greift zum Lösungsbuch. Das aber verhält sich wie die Türen in Machinarium. Es lässt sich nicht einfach so öffnen. Sondern nur über – richtig! – ein Minispiel. Wer sich erfolgreich durch zunehmend schwierige Level im oldschool Arcade-Style geschossen hat, darf endlich das Buch aufschlagen. Die Lösung gibt es auch hier nicht in Textform, sondern in Bildern. Und hier macht das Minispiel auch viel Sinn. Weil es durchaus schwierig ist oder zumindest ziemlich nervig, greift man nicht so schnell zum Lösungsbuch, sondern schlägt – besser: grübelt – man sich lieber selbst durch. So ist die Schwelle zur Entscheidung für den einfachen Weg hoch genug, das man ihn tatsächlich erst dann wählt, wenn man kurz davor ist, seine Aspirinvorräte zu plündern.

Der gute Roboter von Sezuan

Am Ende findet der kleine Roboter seine Freundin wieder, die von den bösen Jungs eingesperrt worden ist, trifft auf das Superhirn der Maschinenstadt, das von den Bösewichtern außer Gefecht gesetzt wurde und muss eine Bombe entschärfen (natürlich am höchsten Turm), die diese angebracht haben. Alles über Minispiele.
Und als nach etwa fünf Stunden Spieldauer der Vorhang fällt, bleibt man zurück mit einem brummenden Schädel und dem wohligen Gefühl im Bauch, dass es eigentlich ganz nett wäre, wenn die Welt so liefe. Du stehst im Bewerbungsgespräch? Es wird nicht geredet, sondern: Minispiel! Du willst deinen wieder mal völlig übertriebenen Einkauf aus dem Supermarkt (es war aber doch reduziert!) in deinen viel zu kleinen Kühlschrank schlichten? Minispiel! Du hast den Typen/die Süße endlich mit nachhause genommen? Minispiel…Äääh?

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Der dunkelste Tunnel. Metro 2033 Last Light oder die Klaustrophobie unter der Gasmaske

dark-one
Ich sehe nichts. Der Farbfilter ist definitiv zu dunkel. Oder ist es die Sonne, die durchs Fenster scheint? Ich lasse die Jalousie runter. Ratsch ratsch ratsch. Was kann schon passieren – im Intro? Alles nur Cutscene. Ich sitze mit vier Männern in einem Metrotunnel, die Zigarettenspitzen sind hell in der Dunkelheit. Was kann schon passieren in einer Cutscene?
Zu spät.
Ich höre noch einen Schrei, irgendwo weiter vorne im Tunnel, wo die Gleise in die Dunkelheit laufen. Die Männer neben mir springen auf, gezogene Waffen.
Dann sind sie schon hier.
Vier, fünf schwarze Gestalten. Riesig. Lange, dünne Glieder. Die Gesichter wie zerrissen und wieder zusammengenäht. Direkt aus einem Albtraum. Und um mich die Dunkelheit.
Die Cutscene kündigt nicht an, wann ich handeln kann. Ich merke, wie ich wild auf die linke Maustaste klicke – schieß doch! – lange bevor ich schießen kann. Dann schieße ich, die schwarzen Gestalten auf mir, über mir.  Ich schieße und schieße.
Sie fallen. Endlich. Einer nach dem Anderen. Aber als sie auf den Gleisen aufkommen, sind sie nicht mehr die Gestalten aus dem Albtraum. Sondern die Männer, mit denen ich eben noch dasaß und geraucht habe.
Der letzte der Dunklen. Er hat mich. Ich schlage blind nach vorne, komme schließlich an mein Messer. Ich ziehe es, stoße in seinen Kopf. Es fährt im direkt in den Schädel. In diesem Moment ist es nicht mehr die schwarze Gestalt. Ich halte meinen Kameraden im Arm. Mein Messer in seinem Schädel. Seine Augen sind seltsam nach oben verdreht.
Er sieht aus, als hätte er einen Geist gesehen.
Ich lasse ihn los. Um mich liegen die Männer, mit denen ich eben noch geraucht, geredet habe. Der Tunnel ist jetzt noch dunkler als zuvor. Meine Hände sind voll Blut. Als ich aufsehe, steht über mir eine der Gestalten, dunkel wie der Tunnel. Sie streckt ihren Arm nach mir aus.
Ich wache auf. Alles nur ein Traum?
Ab jetzt bin ich auf der Hut in diesem Spiel. Ich verlasse meinen Stuhl nicht mehr. Auch nicht, als draußen die Wolken kommen und die heruntergelassene Jalousie in meinem Zimmer viel zu dunkel ist. Ich bleibe sitzen. Wer weiß, was passiert?
Ich wache auf in einem Bunker irgendwo in den Tiefen der Moskauer Metro. 2033. Zwanzig Jahre nach der nuklearen Katastrophe. Wasser tropft von den Wänden. Die Gänge sind eng und alt. Ein Mann weckt mich. Khan. Er sagt, er habe eine der dunklen Gestalten gesehen, in der Nähe der Botanischen Gärten an der Oberfläche. Eigentlich sollten sie alle vernichtet sein. Vor einem Jahr habe ich ihr Nest zerstört. Vom Fernsehturm aus. Drei Raketen. Wie kann noch einer übrig sein? Noch seltsamer – Khan meint, ich müsse sie finden, diese letzte Kreatur, und mit ihr Kontakt aufnehmen. Nur ich könnte das. Aber warum reden mit diesen Wesen aus einem Albtraum, die offensichtlich in unseren Geist einsteigen und manipulieren? Die Halluzinationen erschaffen, die mich dazu bringen, meinen Kameraden Messer in den Schädel zu rammen? Ich folge Khan zum Anführer der Splittergruppe, deren Teil ich bin: Die Spartan Order. Khan berichtet von seiner Entdeckung. Und seiner Überzeugung, dass wir versuchten müssten, mit dem Dark One Kontakt aufzunehmen. Colonel Miller hört sich Khans Entdeckung an. Die Überzeugung nicht.
Die Befehle von Chef Colonel Miller sind eindeutig: Finde den letzten Dark One. Töte ihn. Khan wird weggebracht.
Mit der Scharfschützin Anna mache ich mich auf den Weg in die Botanischen Gärten. Zur Oberfläche. Die Kacheln an den Wänden der verlassenen Station, in der wir aussteigen, sind voll mit Dreck und Blut. Der Tunnel dahinter – voll Leichen. Kahle Schädel leuchten im Schein meiner Taschenlampe. Ratten fliehen. Schließlich da vorne: Licht. Aus einem Schacht über uns. Die Oberfläche. Ich ziehe die Gasmaske über. Atme schwer.
Das Licht am Ende des Tunnels ist in diesem Spiel keines mehr. Es ist das fahle Licht einer toten Welt. Die Kontamination ist überall. Atmen ist nur möglich durch die Gasmaske. Habe ich keine frischen Filter mehr, bleiben mir nur noch Momente. Der Atem wird schwer, das Ringen nach Luft lauter, die Sicht verengt sich, verschwimmt. Dann ist es vorbei.
Jetzt noch nicht. Ich folge Anna an die Oberfläche.
Oben liegt die Welt in Trümmern. Der saure Regen auf meinem Visier nimmt mir die Sicht. G – ich wische über die Gasmaske. Dreck spritzt unter meinen Füßen. In der Ferne ragt ein dunkler Turm aus den Ruinen – die Lomonosov Universität? Da vorne unter uns sind die Botanischen Gärten.
Und das ausgebrannte Nest der Dark Ones: Ein Krater aus Asche. Es sieht aus wie ein gigantischer Elefantenfriedhof.
Anna nimmt ihre Position ein. Ich muss allein da runter.
Ich checke den Filter meiner Gasmaske, lade nach. Dann springe ich die Böschung hinab.
Etwas kommt!
Nicht der Dark One.
Eine Horde Watchmen – hundeähnliche Mutanten.
Sie kommen von rechts. Von links. Von allen Seiten. Anna schießt aus dem Off, ich mittendrin. Das Brüllen der Monster übertönt beinahe meinen Atem, als er knapp wird. Keuchen. Der Filter ist leer. Ich halte die linke Maustaste weiter gedrückt, schieße, drehe, renne, versuche den Watchmen auszuweichen. Zwischendrin T – Filter wechseln. R – Reload. Das Blut der Monster läuft über mein Visier. G – Gasmaske abwischen.
Ich wünschte, ich hätte mehr Finger.
Dann ist der Sturm vorbei. Ich atme tief ein, tief aus. Diesmal wirklich. Ich vor meinem Bildschirm. Zeit bleibt keine. Da vorne, am Rande des Kraters, ist etwas, höre ich Anna sagen. Es ist der Dark One!
Klein ist es, ein kleines, schwarzes Ding. Es sieht beinahe aus wie ein Kind. Es ist schnell. Springt davon, durch die engen Ruinen des Nests. Anna schießt. Immer wieder. Kein Treffer. Es ist sehr schnell. Ich folge ihm. Ich ziele. Ich schieße nicht. Es sieht beinahe aus wie ein Kind. Ich höre Anna schreien. Ich schieße trotzdem nicht. Da vorne ist eine Sackgasse. Noch ein Schuss aus dem Off. Treffer. Das Wesen fällt, versucht wegzukommen von mir. Ich packe es.
Als ich es berühre, wird alles Schwarz. Ein Tunnel, Eindrücke, Bilder von Menschen, die ich vielleicht gekannt habe. Bilder von mir selbst. Dann stehe ich im Nest der Dark Ones, zwischen ihnen. Sie stehen alle da. So viele. Und sehen zum Horizont. Was ist da?
Ich schaue hin.
Der Fernsehturm. Ein Licht am Horizont. Nein, drei Lichter. Drei Raketen.
Meine.
Sie steigen in den Himmel. Wie ein schönes Feuerwerk. Die Dark Ones schauen. Da hinten, am Rand des Nests, ist der Kleine. Die drei Lichter fallen. Und alles brennt. Der Kleine flieht. Und dann ist da nur noch der Knall. Und alles Licht.
Ich komme zu mir.
Ich liege auf dem Boden im Dreck. Neben mir ein Käfig. In dem Käfig die kleine Gestalt. Schwere Stiefel kommen in mein Sichtfeld. Männer mit grauer Uniform. Gasmasken. Ich höre noch „Guten Morgen“. Dann tritt er mir ins Gesicht. Ich bin weg. Das Reich hat mich.
Dort in meinem Zimmer vor dem Bildschirm drücke ich ESC. Atme tief ein, tief aus. Wie komme ich da jetzt wieder raus? Erst mal einen Kaffee. Eine Pause.
Erst jetzt bemerke ich die Dunkelheit. Die Jalousie ist noch immer unten. Das Zimmer dunkel.
Draußen ziehen die Wolken schneller. Ich lasse die Jalousie hoch.
Die Sonne kommt wieder.

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Anna´s Quest: Das Erwachsenwerden ist eines der Schwersten

Anna

Geschichten wie aus dem Märchenbuch kennen wir von Daedalic Entertainment nur zu gut. Mit Edna bricht aus (2008), The Whispered World (2009) und Deponia (2012) hat das Hamburger Entwicklerstudio gezeigt, dass das Adventure-Genre alles andere als tot ist. Diesmal aber treten wir direkt ein in die Grimmsche Märchenwelt. Anna´s Quest ist das Märchen von einer, die auszog, das Fürchten zu lernen. Es ist die klassische Erzählung des unschuldigen Mädchens, die mit Witz und Verstand ein Unglück abwenden muss in einer Welt, die ihr feindselig gegenübersteht. Vor allem aber ist es eine Geschichte über die Beschwerlichkeit des Erwachsenwerdens. Hinter Idee und Design des Spiels steckt der australische Designer Dane Krams, der Anna´s Quest als Abschlussprojekt seines Studiums designte und dann gemeinsam mit Daedalic Entertainment umsetzte. In bester Adventure-Manier point&klicken wir uns in sechs Kapiteln durch eine hübsch gezeichnete Märchenwelt, in der Magie – natürlich – eine zentrale Rolle spielt. Wer aber meint, die Story wäre ebenso süß wie der Grafikstil, hat weit gefehlt. Je tiefer wir in Annas Geschichte eintauchen, desto vielschichtiger wird sie. Anna´s Quest berührt Themen, die so gänzlich im Gegensatz zur süßlichen Inszenierung des Spiels stehen: Wir stoßen auf verkorkste Kindheiten, Fragen von Schuld und Sühne und am Ende begegnen wir sogar dem Teufel selbst. Aber von Anfang an:

Es war einmal im dunklen Wald

Die sonore Erzählerstimme berichtet uns in einem in aquarellfarbenen Tönen gehaltenen Intro, wie Anna mit ihrem Großvater abgeschieden im großen, dunklen Wald wohnt. Seit sie denken kann, erzählt der Großvater Anna, dass die Welt voller übelmeinender Gestalten ist und nur hier, auf dem kleinen Hof inmitten des Waldes, wären sie sicher. Eines Tages wird er von einer mysteriösen Krankheit befallen. Trotz seiner Warnungen macht sich Anna auf, ein Heilmittel zu finden.

So weit, so Rotkäppchen.

Natürlich lässt das Übel nicht lange auf sich warten. Kaum hat Anna einen Fuß in den Wald gesetzt, lauert ihr schon eine böse Hexe auf. Schwupps – finden wir uns in einem Zimmer im Turm der Hexe tief im Wald wieder. Das Zimmer ist zwar voller Plüschtiere und rosafarbener Tapeten. Das kann uns aber natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Hexe Übles im Schilde führt. Die seltsame Maschine und die Überwachungsanlage, über die die Hexe uns beobachtet und uns Anweisungen gibt – NSA lässt grüßen –, lässt Schlimmes befürchten. Das Experiment der Hexe bringt in Anna ein magisches Talent hervor, das  wohl der Grund dafür ist, dass ihr Großvater sie abgeschirmt hat: Anna besitzt die Fähigkeit der Telekinese. Genau an diese Fähigkeit will die Hexe heran. Warum, bleibt zunächst unklar.

Ist aber auch egal. Tagesordnungspunkt Nummer Eins ist, aus dem Turm zu entkommen und das Heilmittel für Opi zu finden.

MacGyver für Arme

Die Rätsel, vor die uns Anna´s Quest stellt, sind durchgehend solide. Um die Telekinese-Absaug-Maschine für unsere Zwecke zu manipulieren, schneiden wir etwa dem Einhorn-Plüschtier sein Horn ab und hebeln damit die Abdeckung der Maschine auf. Den Babydrachen, den wir auf dem Dachboden des Turms finden, benutzen wir, um dem Zauberkessel, den wir für einen Schutzzauber brauchen, Feuer unterm Metall zu machen. Solides Rätselraten, aber für eingeschworene Adventure-Spieler kaum eine Herausforderung. Erst zur Mitte des Spiels legt der Schwierigkeitsgrad etwas zu.

Sporadisch eingestreut sind außerdem eine Handvoll Minispiele. So müssen wir etwa eine Melodie richtig nachspielen, damit sich eine geheime Tür öffnet. Das ist unterhaltsam, aber nicht gerade innovativ. Minispiele mit Melodierätseln haben wir schon anderswo und besser inszeniert gesehen: Man denke nur an das legendäre Banjo-Duell aus der Fluch von Monkey Island oder die Sesam-öffne-dich-Melodie aus Dreamfall Chapters. Immerhin: Wer mit Minispielen so gar nichts am Hut hat oder wessen Geduld ungefähr so ausgeprägt ist wie die Liebenswürdigkeit der bösen Hexe – nämlich gar nicht –, der kann diese Sequenzen überspringen. Das ist einerseits eine praktische Option. Andererseits nimmt es den Rätseln aber auch ein großes Stück Relevanz: Wenn es sowieso egal ist, ob wir das Minispiel spielen oder nicht, warum es dann überhaupt erst reinpacken? Mit einem Umfang von etwa zwölf Stunden Spielzeit hat es Anna´s Quest eigentlich nicht nötig, Elemente wie Minispiele als Zeitfresser einzubauen.

Die Steuerung dagegen fällt angenehm minimalistisch aus. Mit Rechtsklick betrachten wir Gegenstände, mit Linksklick interagieren wir. Zusätzlich gibt es mit der Leertaste die obligatorische Ich-sehe-was-was-du-nicht-siehst-Hilfsfunktion, die sämtliche Gegenstände markiert, mit denen wir interagieren können. Und dann ist da natürlich die Telekinese. Über einen Button auf dem unteren linken Bildschirm bzw. über die Schnellauswahl K kann Anna über ihre Telekinese mit Dingen interagieren. Dabei wird aber eine Menge Potential vergeben. Die Fähigkeit ist fast ausschließlich an banale Rätsel der Art Bringe-a-nach-b gebunden:

Wir müssen an eine Frucht kommen, die zu weit oben am Baum hängt? Telekinese! Wir müssen an ein Handtuch gelangen, das zu weit oben an einer Wäscheleine hängt? Telekinese! Wir müssen ein Formular erreichen, das zu weit oben – nun, you get what I mean! Hier wäre mehr Kreativität angebracht gewesen.

Schade ist außerdem die ausschließlich englische Sprachfassung, die einige Spieler verschrecken dürfte. Gerade, weil Daedalic Entertainment als deutsche Spieleschmiede ansonsten erstklassige deutsche Vertonungen liefert. Trotzdem: Die englische Vertonung ist durchweg gelungen. Annas mädchenhafte Stimme spiegelt die Gemütszustände exakt wieder: Ihre Empörung, als sie herausfindet, dass der Geist Joringel sie für seine eigenen Zwecke ausgenutzt hat; Ihre Unsicherheit in vielen Gesprächen, vor allem als der Teufel ihr den Spiegel ihrer eigenen Unzulänglichkeit vorhält. Ebenso passend ist die Stimme von Ben, unserem verwunschenen Gefährten: Ebenso weinerlich wie seine Art ist seine Stimme. Das kann nerven, passt aber leider einfach zu der Figur. Besonders unterhaltsam ist die Stimme der Hexe, die ständig zwischen säuselndem Überreden und cholerischen Wutausbrüchen schwankt. Nein, nein, sie wolle uns nicht grausam umbringen und dann verspeisen, weil wir ihr Experiment manipuliert haben. Sie wolle uns nur helfen, weil sie sich Sorgen mache. Ja, wirklich. Na klar. Wir tun natürlich den Teufel und lassen die verrückte alte bestimmt nicht in den Turm, in dem wir uns nun verbarrikadieren konnten.

Eine schwere Kindheit

Schließlich schaffen wir es, die Hexe zu überrumpeln und aus dem Turm zu entkommen. Gemeinsam mit Ben, einem sprechenden Teddybären der eigentlich ein verwunschener Junge mit Gedächtnisverlust ist, machen wir uns auf Anraten eines Zauberspiegels (ja, der Zauberspiegel) auf den Weg durch den Wald in das Dorf Wunderhorn, wo es einen Zauberer geben soll, der das Heilmittel für Annas Großvater kennt. Der Zauberer entpuppt sich als Zauberin und trägt uns auf, drei magische Dinge zu finden, mit deren Hilfe sie das Heilmittel herstellen könnte. Die Aufgabe ist, wie üblich, eigentlich unlösbar und schon gar nicht von einem kleinen Mädchen zu bewältigen. Natürlich schaffen wir es trotzdem irgendwie, die magischen Dinge zu beschaffen.

Dabei überlisten wir eine kinderfressende Hexe, einen misanthropischen Einsiedler und eine Horde tödlicher Sirenen, die eine Schwäche für klassische Musik haben.

Leider aber stellt sich heraus, dass die Zauberin wiederum uns überlistet hat und in Wahrheit die böse Hexe ist. Zu allem Überdruss ist sie auch noch die zukünftige Königin, nachdem die wahre Königin – ihre Schwester – verschwunden ist. Wer sie hat verschwinden lassen, das kann sich jetzt wohl jeder selbst ausrechnen. Nach diesem Twist werden wir kurzerhand ins Verlies geworfen, das die Hölle ist.

Also – im wahrsten Sinne des Wortes. Wir landen in der Hölle. Und müssen den Teufel selbst überlisten.

che Rolle Anna im bösen Plan der Hexe spielt, die Herrschaft an sich zu reißen und was das mit der mysteriösen Krankheit des Großvaters und dem sprechenden Bären Ben zu tun hat, wird erst nach und nach klar und würde an dieser Stelle zu viel verraten. Soviel aber sei gesagt: Anna´s Quest macht es sich nicht einfach. Das Schwarz-Weiß klassischer Märchenerzählungen – die Hexe ist schlicht böse und der Held gut und am Ende kriegt die Hexe was sie verdient – wird komplett ausgehebelt. Wir lernen, dass die böse Hexe aus dem Turm einen Namen hat: Winfriede, auch „Winnie“ genannt. Wer so heißt, kann ja eigentlich nicht richtig böse sein. Und tatsächlich stellt sich heraus, dass Winfriede nicht immer die alte, grantige Gestalt war, die sie jetzt ist. Wie sie dazu geworden ist, können wir in einem kurzen, aber intensiv inszenierten Kapitel am Ende sogar selbst nachspielen.

Coming of Age im Märchenland

Anna´s Quest ist vor allem eine Geschichte über das Erwachsenwerden und darüber, dass die kindliche Vorstellung von der Welt und so, wie sie tatsächlich ist, oft nicht zusammenpassen. Auf ihrer Reise hilft Anna, wo sie kann. In ihrer unschuldigen, empathischen Art versucht sie noch, der hinterletzten Märchengestalt in Not zu helfen. Einige meinen es gut mit ihr. Andere nicht. Viele benutzen Anna für ihre eigene Agenda. Es ist herzzerreißend mit anzusehen, wie Anna mit ihrer Selbstlosigkeit allein auf weiter Flur ist. Anna´s Quest ist ein Coming-of-Age-Spiel. Das ist seine Stärke. Das macht es interessant. Genau das ist es aber auch, was den Spieler manchmal in den Wahnsinn treibt. Annas Naivität ist teilweise schmerzhaft. Man möchte ihr zurufen: „Wie naiv kann man sein!“ und sich den Dialogoptionen gänzlich verweigern, weil sie in ihrer Gutmütigkeit einfach zu eingeschränkt sind.

Und die Moral von der Geschicht´

Die Stimmung in Anna´s Quest macht die teilweise schwer zu ertragende Naivität der Hauptfigur und die kaum herausfordernden Rätsel aber wett. Die Märchenwelt ist hübsch gezeichnet, auch wenn sie sehr viel abstrakter ausfällt und nicht an die melancholische Stimmung eines The Whispered World heranreicht.

Gerade weil Anna´s Quest optisch so süßlich inszeniert ist, bleiben die sehr ernsten Themen, die angesprochen werden, im Gedächtnis. Hinter der süßen Kinderfassade bricht Desillusionierendes hervor: Ruinierte Kindheiten, berechnende Menschen und die beunruhigende Vorahnung, dass man manchmal weniger Einfluss auf das eigene Schicksal hat als man hofft.

Und vor allem: Dass niemand einfach nur so böse ist. Anna´s Quest schlägt sich bis zuletzt auf keine Seite. Zum Schluss bleibt eine Szene im Gedächtnis: Der Großvater erklärt Anna, dass es draußen Menschen gebe, die böse seien, die versuchen würden, sie auszutricksen. Anna fragt beunruhigt, ob sie denn dann auch böse sei, weil sie einmal versucht hat, den Großvater mit einer Lüge auszutricksen. Er lacht und meint, dass sie deswegen natürlich nicht böse sei. Er und sie, sie seien die Guten. Sie machen nur manchmal Fehler. Darauf fragt Anna: „Dann machen manche Menschen, von denen wir glauben, dass sie böse sind, vielleicht manchmal auch einfach nur Fehler?“ („Well, some people we think are bad might just be making mistakes, then?“). Wenn das kein Spruch fürs Poesiealbum der Lebensweisheiten ist, dann will der untote Piratenkapitän LeChuck nicht Gouverneurin Elaine zur untoten Braut!