Die Truman-Show on Bike

1 Februar, 2019

Es gibt mindestens so viele Gründe für das Biken wie Scheherazade dem König Schahriyâr Geschichten in Tausendundeiner Nacht erzählt. Es gibt – mal abgesehen von einer Handvoll Grundregeln gegenseitigen Respekts und Respekt vor der Natur – kein Richtig und Falsch, wenn es ums Mountainbiken geht. Jeder nach seiner Façon. Jeder so, wie er´s braucht.
Das mal vorab.
Dann gibt es aber im Mountainbike-Bereich, so wie in fast jedem Freizeitbereich heutzutage, eine Tendenz zur Bedeutungssucht. Mal polarisierend ausgedrückt. Es scheint, dass uns das Zeitalter des Lebens 2.0 nicht nur in unserem Arbeitsalltag zu einem Immer-schneller, Immer-weiter, Immer-mehr treibt, sondern auch auf den Freizeitbereich übergreift, der uns ja eigentlich die Gelegenheit geben sollte, aus unserem alltäglichen Wendekreis des Stresses eben auszubrechen. Der Wald als Zufluchtsort, der Trail als safe haven, auf dem wir ganz im Hier und Jetzt sind und sein dürfen. Zumindest geben wir das vor. Und dann fahren wir doch wieder auf sämtliche Bike-Events, von der Schnitzeljagd über die Rennveranstaltung bis zum Fahrtechnikcamp am anderen Ende der Welt.
Warum?
Wir schwärmen auf sämtlichen Social Media-Kanälen von der heilsamen Stille und Einsamkeit inmitten des Waldes, dem Zurückgeworfen-sein-auf-uns-selbst, ohne zu erkennen, dass wir im Augenblick des Postings eben diese Stille und Einsamkeit selbst konterkarieren, indem wir sie der Massenöffentlichkeit des digital-sozialen Lebens opfern. Anstatt auf uns selbst zurückgeworfen zu sein, werfen wir unser genuin intimes Erleben der digitalen Nacktheit zum Fraß vor.
Warum?
Reicht es nicht mehr, da zu sein? War ich nur da, wenn es ein Foto von meinem Da-sein gibt? Wenn ich eine Merchandising-Plastiksocke der Bike Republik Sölden mitgebracht habe? Wenn da mit mir noch mindestens ein ganzer Haufen anderer mit mir da war, der wiederum meine Anwesenheit am Event XYZ bestätigen kann? Es ist, als müssten wir unser Dasein selbst, oder gerade, in unserem Freizeitverhalten, konstant revalidieren. Weil es ansonsten nicht existent wäre? Weil es keine Bedeutung hätte, wenn ich den Pass hochgeradelt bin ohne oben an der Passhöhe ein „Beweis“-Foto gemacht zu haben? Es ist, als müssten wir uns unserer eigenen Bedeutung konstant versichern.
Genau damit spielen Plattformen wie Instagram, Snapchat und Co. ja. Sie zielen auf eine grundmenschliche Eigenschaft – das Bedürfnis nach Anerkennung. Erhalten wir Anerkennung, erhalten wir Bedeutung. Unser schlimmster Albtraum in einem Zeitalter, das sich konstant selbst seiner eigenen Bedeutung versichern muss, ist die Bedeutungslosigkeit. Die lediglich fünf Likes unter unserem neuesten Post.
Aus dieser Tendenz freilich spricht der Narzissmus einer Postmoderne, die sich selbst zu wichtig nimmt. Und gleichzeitig liegt ihr doch etwas ganz anderes zugrunde: Infantile Unsicherheit. Wir müssen uns nur dann konstant unserer eigenen Bedeutung über externe Gratifikation versichern, weil wir heillos verunsichert sind. Wir sind wie die kleinen Kinder, die die Sandburg nicht deswegen bauen, um sich in ihr zu verlieren, sondern um den Erwachsenen zu gefallen. Um das heiß ersehnte Lob zu erhalten, dass wir durch unser eigenes Tun und durch dieses allein nicht bekommen können – weil es uns nicht um die Sache geht.
Diese Bedeutung aber, die wir uns von außen holen – durch Likes, durch Events – ist nicht nachhaltig. Heißt: Sie hält nicht an. Sie ist wie die Fanta, die nur einen Augenblick lang den Durst vermeintlich löscht, aber uns kurz darauf noch durstiger zurücklässt. Wir brauchen mehr. Mehr Bilder, mehr Likes, mehr Events. Wir sind regelrecht süchtig nach der Bedeutung, die wir durch diese erleben.
Aber diese Bedeutung ist nur kurzfristig. Sie ist gewissermaßen nur geskriptet – eine hübsche Fassade des Paradieses, in dem die Früchte sich aber bald als glänzende Plastikattrappen herausstellen. Es gibt uns nichts am Ende des Tages.
Warum?
In der philosophischen Theorie unterscheidet man zwischen intrinsischem Wert und extrinsischem Wert. Der intrinsische Wert eines Dings, eines Zustands oder einer Handlung ist der, der in dem Ding, dem Zustand oder der Handlung selbst liegt. Der extrinsische Wert ist etwas, das Dingen, Zuständen und Handlungen nur mittelbar zukommt.
Ein Beispiel: Nehmen wir mal an, jemand fragt uns, ob es gut sei, anderen zu helfen. Normalerweise würden wir dann antworten: Ja, klar! Nun fragt der andere aber weiter, warum es denn gut sei, anderen zu helfen. Wir würden vielleicht so etwas sagen wie: Es ist gut, anderen zu helfen, weil es gut ist, wenn deren Bedürfnisse erfüllt werden. Werden wir dann weiter gefragt, warum es denn gut sei, wenn die Bedürfnisse anderer erfüllt werden, dann würden wir uns schon langsam etwas auf den Schlips getreten fühlen, weil es doch so offensichtlich ist.
Dann würden wir so etwas antworten wie: Na, das ist doch einfach gut, wenn Bedürfnisse erfüllt werden. Punkt. Oder wir würden weiter überlegen und schließlich sagen, dass es deshalb gut ist, wenn die Bedürfnisse erfüllt werden, weil es Freude bringt. Weil es uns glücklich macht. Wenn nun unser Fragesteller immer noch weiter fragt, was denn daran gut sei, dann kämen wir wohl irgendwann an den Punkt, an dem wir am Grund der Argumentation angelangt sind: Glücklich sein ist gut. Wie gäbe es da noch weitere Fragen zu stellen?
Es gibt also den Punkt, an dem wir schließlich ein Ende setzen müssten, nicht unbedingt, weil uns die Fragerei so nervt (das kann natürlich auch ein Grund sein ;), sondern weil wir anerkennen müssten, dass, wenn ein Ding seine Gutheit, seinen Wert also, aus einem anderen Ding bezieht und dieses wiederum seinen Wert aus einem Dritten, wir doch irgendwann an ein grundlegendes Ding geraten, das ganz unten am Ende der Liste steht, und das kein Derivat eines anderen Ding mehr ist. Sondern Wert hat an und für sich. Dieses Ding ist dann intrinsisch wertvoll. Es hat Bedeutung nicht durch etwas anderes, sondern an sich. Alle anderen Derivate dieses Dings wiederum haben nur extrinsischen Wert.
Was wir nun aber tun ist, die lange Liste der extrinsischen Werte abzuarbeiten und zu hoffen, darin den Wert an sich, darin wirkliche Bedeutung zu finden. Das wird und kann aber nicht passieren.
Wir biken gewissermaßen auf der kläglichen Spitze des Eisberges und bilden uns ein, den most epic aller Trails gefunden zu haben.
So bleibt uns die wirkliche Bedeutung, die ihren Wert aus sich selbst zieht, schlicht verwehrt. Es muss natürlich nicht zwingend darum gehen und vielleicht reicht uns die kurzfristige, externe Revalidierung der Bedeutung des eigenen (Bike-)Tuns und –Seins auch, die wir über diesen oder jenen Like oder dieses oder jenes Event erhalten, auch einfach. Aber wenn es um das Wesen des Bikens geht (was auch immer das dann ist und wie auch immer man das fassen könnte), dann geht es grundsätzlich um etwas Intrinsisches.
Und dieses Intrinsische finden wir nicht da draußen.
Nicht auf dem gestellten Foto, nicht zwischen den Bachflags des nächsten Bike-Events.
Das finden wir in uns.
Nirgendwo sonst.
Erst wenn wir uns dieser Essenz, dem Herz sozusagen, annähern, wird die Bedeutung, die wir jetzt so verzweifelt in Externem suchen und konstant revalidieren müssen, eine bleibende, eine wirkliche sein. Die sich eben dadurch konstituiert, dass sie sich selbst genug ist.
Sie braucht nichts sonst.
Nur uns und den Trail.