Heile Welt 2.0 – Der Groschenroman im Wandel der Zeit

8 April, 2017

Immergleiche Erzählstruktur, einfache Sprache, schwarz-weiß-Mentalität: Aus literarischer Sicht betrachtet ist der Heftroman Trivialliteratur. Aber die Auflagenzahlen sind nach wie vor beeindruckend, die Leserschaft hält sich – und das seit Jahrzehnten. Was ist es, das uns fasziniert am „Groschenroman“ und wie hat sich dieser über die Zeit eigentlich verändert?

HeldIn besteht Abenteuer vor Kulisse x, am Ende wird der Konflikt aufgelöst und die Ordnung der „heilen Welt“ wiederhergestellt. Das ist die narrative Formel der Heftromane oder „Groschenromane“. Variationen erfährt das Genre nur im Bereich der wechselnden Kulissen – die Geschichten spielen vor heimatlich überhöhtem Alpenpanorama („Der Bergdoktor“) ebenso wie im Weltall („Perry Rhodan“). Die Erzählstruktur dagegen folgt strengen Regeln: Nach diversen ausgetragenen Konflikten und bestandenen Abenteuern ist ein Happy End sicher: And they lived happily ever after. Den Geschichten liegen dabei eindeutige binäre Moralzuordnungen zugrunde: Die „Guten“ und die „Bösen“ sind klar verteilt und gekennzeichnet und am Ende siegt stets das Gute. Formen und Inhalte werden bewusst reproduziert und kaum variiert, auch weil Originalität für die Verlage ein potentielles Risiko darstellt. Vor allem aber, weil die Leser die schöne, heile Welt der Heftromane eben ihrer Kontinuität und Vorhersehbarkeit wegen schätzen.

Vormoderne Flüsterpost

Die Ursprünge des Heftromans lassen sich bis in das ausgehende 15. Jahrhundert zurückverfolgen. In den sogenannten „Volksbüchern“ werden vor allem Märchen und Sagen auf billigem, löschblattartigem Papier abgedruckt und für wenig Geld auf Jahrmärkten verkauft. Die Ursprünge der Gattung liegen im Einblattdruck von Übersetzungen italienischer und französischer Quellen. Schon damals stehen die Themen Liebe und Abenteuer im Mittelpunkt. Die Geschichten sollen der Unterhaltung und Erbauung dienen – quasi nebenbei sichern sie durch die Abdrucke aber auch den Fortbestand vieler Sagen und Märchen für die Nachwelt.

Umfassender Eskapismus

Über die Jahre in Vergessenheit geraten, erlebt die Gattung im 19. Jahrhundert ihre Renaissance durch die Romantik. Als Conversations- und Reiseliteratur vertreiben sie die Verlage in wöchentlicher Auflage an ihre Leser. Der Umfang entspricht dem Druckbogen – zunächst 24 oder 32 Seiten, später 50 bis 100 Seiten. Das hat sich bis heute – ein Heftroman hat stets etwa 64 Seiten – nicht geändert. Auch die Optik ist weitgehend gleich geblieben: Das Titelbild ist auffällig und farbenreich gestaltet, stellt oft eine dramatische Szene dar – Ausnahmen hiervon sind die Heftromane mit Heimat-Thematik; Hier liegt der Fokus auf der Darstellung der herrschenden Idylle –  und trägt einen plakativen Titel: „Liebe wie ein Wirbelsturm“, „Maskenball der Gefühle“ „Wildererblut und Mädchenträume“, „Dr. Burgers schrecklicher Verdacht“, „Die Sünde einer Frühlingsnacht“ und „Herzensgold“ sind nur einige Beispiele. Passend zu der jeweiligen Szenerie wird auch der Autorenname gewählt, der Teil der Marketingstrategie ist. Den Heimatroman schreibt der bodenständig klingende „Andreas Kufsteiner“, Autor des Geisterjägers „John Sinclair“ ist „Jason Dark“.  „Der Autorenname“, so Heftromanautorin Anna Basener „ist Teil der Gesamtinszenierung“. Sie selbst hat 30 Adelsromane geschrieben und mehr als 600 lektoriert. Natürlich unter dem klingenden Pseudonym „Catharina Chrysander“. Das Autorenpseudonym entspricht der Romanszenerie – Der Leser kauft nicht nur einen Heftroman, sondern ein Weltbild. Der Eskapismus der Heftromane ist umfassend.

Wo die Welt noch in Ordnung ist

Kaum verwunderlich also, dass der Heftroman besonders in Krisenzeiten am auflagenstärksten ist. Gibt es nach Kriegsende 1945 gerade einmal zehn Heftromanreihen, sind es 1949 bereits 130, kaum fünf Jahre später schon 162. Davon sind über die Hälfte Liebes- und Heimatromane, die restlichen spielen im wildwestromantischen, Gangster-, Science Fiction- und Geheimagenten-Umfeld. Gerade in der entbehrungsreichen Nachkriegszeit ist das Prinzip von Unterhaltung als Ablenkung zentral. Inmitten politischer Umbrüche und sozialer Unsicherheit bietet der Heftroman vielen Leser Trost – auch wenn dieser nur fiktiv ist – der einer „Hier ist die Welt noch in Ordnung“-Logik folgt.

Dass diese Logik eigentlich immer Hochkonjunktur hat, ist für die konstanten Verkaufszahlen der Verlage verantwortlich. Auch die konstante Kritik kann den Erfolg der Heftromane nicht verhindern: Seit den 1950er Jahren werden die Groschenromane, überwiegend von kirchlicher und pädagogischer Seite, aber auch durch die dem literarischen Wertekanon verpflichteten Medien wie DIE ZEIT oder DER SPIEGEL, zumindest als volksverdummend, wenn nicht sogar als politisch verdächtig (weil Opium für das Volk) beäugt. Dem kommerziellen Erfolg der Romane tut das keinen Abbruch. In den 1980er Jahren – der Hoch-Zeit des Heftromans – wurden jährlich rund 300 Millionen Exemplare verkauft. Der Wendepunkt kam schließlich aus einer ganz anderen Richtung. Wo pädagogische und literarisch-elitäre Normen versagten, war es ironischerweise ein anderes Unterhaltungsmedium, das dem Heftroman den Rang ablief: Mitte der 1980er Jahre eroberte das Privatfernsehen und – später – die Computerspiele die deutschen Wohn- und Kinderzimmer im Sturm. Vorbei war es mit den Tauschbörsen für Heftromane in den Städten, die wöchentlichen Warteschlangen vor den Kiosken wurden kürzer.

Heftroman 2.0

Und heute? Die großen Heftroman-Verlage Bastei-Lübbe und Cora versuchen den Sprung auf den Zug 2.0: „Der Bergdoktor“ und Co. sind jetzt Teil der Cloud und können online gelesen werden. Digital, günstig – und diskret. Man erkennt nicht, ob es sich um einen der berühmt-berüchtigten Groschenromane handelt oder um den aktuellen Roman des diesjährigen Nobelpreisträgers,  wenn man in seinem schicken eBook-Reader in der U-Bahn schmökert. Auf dem eReader herrscht Gleichheit. Zudem passt die Kurzlebigkeit des Heftromans zu der modernen Geschwindigkeit des digitalen Selbstverständnisses. Informationen, Texte, Bilder werden konsumiert, weggeworfen und ersetzt durch Neues. Einweg-Literatur also. Der Heftroman passt hervorragend zu den Lesegewohnheiten des Internetpublikums. 20 Prozent seines Umsatzes generiert der Verlag Bastei-Lübbe bereits über digitale Inhalte. Die Annahme, die Heftromane stürben mit ihrer älteren Leserschaft aus, bestätigt sich also nicht. Im Gegenteil: Kurze, in einfacher Sprache gehaltene – „klickbare“ – Texte finden auch unter jüngeren Lesern Anklang.

Warum wir schmonzetten

Aber warum? Warum werden Heftromane immer noch – und immer – gelesen?

Einerseits, weil die Verlage die thematische Ausrichtung durchaus dem geltenden Mainstream entsprechend modernisieren: Im Zuge des auf die Roman-Reihe „Fifty Shades of Grey“ folgenden Erotik-Hypes wurden die sexuellen Inhalte expliziter und einige Romanreihen greifen etwa die Teenie-Mystery-Romanzen-Rezeptur der „Twilight“-Serie auf. Und manchmal wird der konservative Wendekreis der Romane tatsächlich auch durchbrochen: So plant der Verlag Cora für diesen Sommer etwa drei Testbände mit homosexuellen Paaren.

Andererseits werden Heftromane noch immer gelesen, weil sie dem Leser etwas bieten, das so schlicht wie durchschlagend und außerdem zeitlos ist: Ein gutes Gefühl. Die Leserschaft sammelt sich dementsprechend entgegen aller Vorurteile auch nicht in den sozial einfacheren Schichten. „Die Fans der Heftromane“, so Verlagsmanager Florian Marzin, „ziehen sich quer durch alle Schichten“ und durch alle Altersgruppen und Geschlechter.

Vom guten Gefühl

Dass die Gattung des Heftromans negativ konnotiert ist, liegt vor allem am herrschenden Wertekanon des akademischen Literaturbetriebs, der den Korpus Literatur seit dem 17. Jahrhundert in Hochliteratur „und den Rest“ aufteilt und literarischen Texten damit zugleich eine moralische Dimension einschreibt, indem sie normativ evaluiert werden: in „gute“, oder eben „schlechte“ Literatur. Der Wert von Literatur liegt immer im Auge des Betrachters bzw. des Lesers. In diesem Falle eben in den Augen der dem Literaturkanon zugrundliegenden stilistischen und narrativen Wertvorstellungen. Die gerümpfte Nase gegenüber der Gattung ist also lediglich Ausdruck einer ganz bestimmten Herangehensweise an Literatur – nämlich der kanonischen. Genauso denkbar wären auch andere Ansätze.

Wie etwa der von Heftromanautorin Anna Basener, die Literatur sehr viel haptischer versteht: „Literatur darf auch gebraucht werden. Besser so, als wenn man ein Buch von mir kauft, das dann ungelesen im Schrank steht“. Diese Pragmatik der Literatur als Gebrauchsgegenstand findet ihre Entsprechung auch in den Inhalten der Heftromane: Dort wird pragmatisch gelebt, geliebt und gehandelt – ohne viel Komplexität, ohne viel Zaudern und Zagen. Strenggenommen, wie Anna Basener betont, ist es keine heile Welt, die hier gezeigt wird. Denn gerade erst durch die auftretenden Konflikte kann die Ordnung am Ende validiert werden. Aber es ist eine heilbare Welt. Und darin mag das Erfolgsgeheimnis der Heftromane zu finden sein: Sie lassen uns glauben, dass alles irgendwie schon klappen wird am Ende, dass es gut ausgehen wird. Das gibt uns ein gutes Gefühl. Und das ist ja nicht schichten-, alters- oder geschlechtsspezifisch – es ist allgemein menschlich.

 


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